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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2019 — 2020

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B. Die Mitglieder
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I. Antrittsreden
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Jörg Schmalian
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https://doi.org/10.11588/diglit.55176#0173
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Antrittsrede von Jörg Schmalian

einzelnen Atomen zu verstehen. Es ist bemerkenswert und nicht offensichtlich,
dass der gleiche mathematische Formalismus auch Systeme wie Supraleiter, Mag-
nete, Plasmen, topologische Isolatoren, eingefangene atomare Gase oder Neutro-
nensterne und Pulsare beschreibt. Die physikalischen Besonderheiten, die solche
Vielteilchensysteme dann aufzeigen, sind jedoch alles andere als Extrapolationen
der Eigenschaften von einzelnen Atomen und Molekülen. Diese kollektiven Ef-
fekte der Quantenmaterie besser zu verstehen ist das Ziel meiner Forschung.
Diese Fragen haben mich auch dazu gebracht, über philosophische Aspekte des
„Mehr ist anders“ - „More is different“, wie es Philip Anderson bezeichnete -
nachzudenken und zu publizieren. Meine alte Liebe zur Geschichte führte zu
Artikeln zur Wissenschaftsgeschichte, in denen ich mich mit der Bedeutung von
Fehlschlägen und Misserfolgen für die wissenschaftliche Forschung auseinander-
gesetzt habe. Meine größten wissenschaftlichen Erfolge sind auf dem Gebiet der
eisenbasierten Supraleiter, der Hydrodynamik von Elektronen in Graphen sowie
der Beschreibung von glasartigen Übergängen in komplexen sogenannten frust-
rierten Materialien.
Seit 1998 bin ich mit der aus Russland stammenden Mathematikerin Prof.
Maria Axenovich, die ebenfalls am KIT forscht und lehrt, verheiratet. Wir haben
uns seinerzeit in Illinois kennengelernt und hatten das große Glück, 1999 beide
Angebote auf Assistenzprofessuren an der Iowa State University zu erhalten. Un-
ser Sohn wurde in Iowa geboren und studiert nach seinem Abitur in Karlsruhe
momentan Mathematik in England. Meine Tochter ist in Frankreich aufgewachsen
und studiert dort Jura. Dieser Blick auf eine mittlerweile nicht mehr untypische
Familie demonstriert einerseits, dass das Sprachengetümmel am Essenstisch bei
uns anstrengend sein kann. Er macht mich andererseits nachdenklich, wenn ich
mir die Herausforderungen anschaue, vor denen die Generation unserer Kinder
steht. Die Überzeugungskraft sachlicher, wissenschaftlicher Argumentation wird
momentan ernsthaft in Frage gestellt. Die Bewältigung dieser Krise wird noch auf
den Schultern der Teenager von heute liegen.
Wenn ich in solchen Zeiten die Aufgaben einer Akademie reflektiere, dann
befürchte ich, dass wir mehr darüber nachdenken müssen, wie wir die uns so
selbstverständliche Denkweise und Internationalität bewahren und weiterentwi-
ckeln können. Zur Illustration ein Beispiel: In den neunziger Jahren des letzten
Jahrhunderts hat die National Academy of Sciences in den USA erkannt, wie
wichtig es war, sowjetischen Kollegen zu helfen. Für die theoretische Physik wur-
de damit eine der dominierenden wissenschaftlichen Schulen teilweise gerettet.
Damals haben meiner Meinung nach die westeuropäischen Wissenschaften zu we-
nig getan. Den Preis dafür bezahlen wir bis heute. Giganten der Physik haben in
Minneapolis, Princeton und Chicago Anstellungen gefunden anstatt an der Hum-
boldt Universität in Berlin, in Paris, Karlsruhe oder Heidelberg. Es gab natürlich
Einzelkämpfer, wie meinen Vorgänger und Karlsruher Kollegen Peter Wölfle, die

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