Antrittsrede von Heike Karbstein
be: Über mich selber zu reden. Ich jedenfalls empfinde dies als schwieriger als
jeden wissenschaftlichen Vortrag. Zudem bin ich auf Worte alleine angewiesen,
ganz ungewohnt für eine Ingenieurin. Verzeihen Sie mir, wenn ich mich an mei-
ner Textvorlage orientiere - zum ersten Mal in meinem Vortragsleben.
Als ich Matthias Kind fragte, was andere an meinem Leben interessant fin-
den könnten, meinte er: Die Mitglieder möchten Dich und Dein Fachgebiet, die
Lebensmittelverfahrenstechnik, kennenlernen. Mein Mann meinte „Deine Per-
sönlichkeit ist geprägt durch den Tanz auf Drahtseilen: Gegensätze ausgleichen
- zwischen Extremen vermitteln“. Nehme ich Sie also mit auf den mehrfachen
Drahtseilakt: zwischen Akademie und Anwendung, zwischen Führung und Für-
sorge, zwischen Beruf und Familie - und natürlich als Frau in einer Männerwelt.
Meine ersten Erinnerungen beginnen damit, dass meine Eltern mir erzähl-
ten, dass ich eigentlich ein Junge werden sollte. Sie waren sich so sicher, dass sie
gar keinen Namen für ein Mädchen parat hatten. Mit zwei jüngeren Brüdern bin
ich gefühlt in einem Jungenhaushalt groß geworden. Röcke oder Kleider gab es
nur als große Ausnahme - als Älteste musste ich die Kleidung tragen, die meine
Brüder durcherben konnten. Völlig unverstanden fühlte ich mich als Zehnjährige,
als unser Bürgermeister mich persönlich tadelte, nicht für das Fußballspiel in der
Grünanlage - wie erwartet -, sondern für die Tatsache, dies als Mädchen zu tun.
Ungewöhnlich empfand ich den Wunsch meiner Eltern, mich ab der 7. Klasse
in den Sprachzug zu stecken, wo doch klar war, dass ich Mathematik liebte. Meine
Sprachbegabung dagegen wurde von unserer Englischlehrerin auf einem Eltern-
abend folgendermaßen auf den Punkt gebracht: „Auf dieser Schule gibt es nur drei
Kinder, die nie Englisch lernen werden, und das sind die drei Karbsteins.“ Meine
Eltern hatten aber beschlossen, dass ein Mädchen sprach- und nicht naturwissen-
schaftlich begabt sein musste. Auch waren sie der Überzeugung, dass eine gute
Grundausbildung in Latein wichtig für das Leben sei. Ich gab nach, besuchte aber
jede Mat-Nat-AG, ob Informatik, Biologie oder Astronomie. Ich glaube, hier — in
den kleinen Gruppen interessierter Mitschüler und engagierter Lehrer - wurde
meine wissenschaftliche Neugier geweckt. Und ich war das erste Mädchen der
Schule, das mit handgekennzeichneten Programmierkarten den einzigen Schul-
computer bedienen durfte. Geprägt hat mich auch das Blockflötenensemble, das
von meiner hoch engagierten Musiklehrerin Anne Kern geleitet wurde. Hier ent-
stand meine Liebe zur Tenorflöte. Mittagspausen, Nachmittage und Wochenenden
wurden mit gemeinsamer Musik und Reisen zu Auftritten bei „Jugend musiziert“
gefüllt. Daneben gab ich Nachhilfe in Mathematik und Naturwissenschaften, um
mir meinen Führerschein und meine Reisen mit Jugendgruppen zu verdienen.
Der zunächst ungeliebte Sprachzug zeigte später Vorteile. Als mathematisch Be-
gabte fand ich die Logik in der lateinischen Grammatik leicht nachvollziehbar.
Mein fehlendes Gefühl für die Musik in der Sprache störte beim Lesen lateini-
scher Texte so überhaupt nicht. Dafür begeisterten mich die Texte von Seneca und
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be: Über mich selber zu reden. Ich jedenfalls empfinde dies als schwieriger als
jeden wissenschaftlichen Vortrag. Zudem bin ich auf Worte alleine angewiesen,
ganz ungewohnt für eine Ingenieurin. Verzeihen Sie mir, wenn ich mich an mei-
ner Textvorlage orientiere - zum ersten Mal in meinem Vortragsleben.
Als ich Matthias Kind fragte, was andere an meinem Leben interessant fin-
den könnten, meinte er: Die Mitglieder möchten Dich und Dein Fachgebiet, die
Lebensmittelverfahrenstechnik, kennenlernen. Mein Mann meinte „Deine Per-
sönlichkeit ist geprägt durch den Tanz auf Drahtseilen: Gegensätze ausgleichen
- zwischen Extremen vermitteln“. Nehme ich Sie also mit auf den mehrfachen
Drahtseilakt: zwischen Akademie und Anwendung, zwischen Führung und Für-
sorge, zwischen Beruf und Familie - und natürlich als Frau in einer Männerwelt.
Meine ersten Erinnerungen beginnen damit, dass meine Eltern mir erzähl-
ten, dass ich eigentlich ein Junge werden sollte. Sie waren sich so sicher, dass sie
gar keinen Namen für ein Mädchen parat hatten. Mit zwei jüngeren Brüdern bin
ich gefühlt in einem Jungenhaushalt groß geworden. Röcke oder Kleider gab es
nur als große Ausnahme - als Älteste musste ich die Kleidung tragen, die meine
Brüder durcherben konnten. Völlig unverstanden fühlte ich mich als Zehnjährige,
als unser Bürgermeister mich persönlich tadelte, nicht für das Fußballspiel in der
Grünanlage - wie erwartet -, sondern für die Tatsache, dies als Mädchen zu tun.
Ungewöhnlich empfand ich den Wunsch meiner Eltern, mich ab der 7. Klasse
in den Sprachzug zu stecken, wo doch klar war, dass ich Mathematik liebte. Meine
Sprachbegabung dagegen wurde von unserer Englischlehrerin auf einem Eltern-
abend folgendermaßen auf den Punkt gebracht: „Auf dieser Schule gibt es nur drei
Kinder, die nie Englisch lernen werden, und das sind die drei Karbsteins.“ Meine
Eltern hatten aber beschlossen, dass ein Mädchen sprach- und nicht naturwissen-
schaftlich begabt sein musste. Auch waren sie der Überzeugung, dass eine gute
Grundausbildung in Latein wichtig für das Leben sei. Ich gab nach, besuchte aber
jede Mat-Nat-AG, ob Informatik, Biologie oder Astronomie. Ich glaube, hier — in
den kleinen Gruppen interessierter Mitschüler und engagierter Lehrer - wurde
meine wissenschaftliche Neugier geweckt. Und ich war das erste Mädchen der
Schule, das mit handgekennzeichneten Programmierkarten den einzigen Schul-
computer bedienen durfte. Geprägt hat mich auch das Blockflötenensemble, das
von meiner hoch engagierten Musiklehrerin Anne Kern geleitet wurde. Hier ent-
stand meine Liebe zur Tenorflöte. Mittagspausen, Nachmittage und Wochenenden
wurden mit gemeinsamer Musik und Reisen zu Auftritten bei „Jugend musiziert“
gefüllt. Daneben gab ich Nachhilfe in Mathematik und Naturwissenschaften, um
mir meinen Führerschein und meine Reisen mit Jugendgruppen zu verdienen.
Der zunächst ungeliebte Sprachzug zeigte später Vorteile. Als mathematisch Be-
gabte fand ich die Logik in der lateinischen Grammatik leicht nachvollziehbar.
Mein fehlendes Gefühl für die Musik in der Sprache störte beim Lesen lateini-
scher Texte so überhaupt nicht. Dafür begeisterten mich die Texte von Seneca und
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