I. Jahresfeier am 18. Mai 2019
bei Habermas sowohl die innere Stimmigkeit von Aussagenbündeln, ihre Kohä-
renz, als auch deren Übereinstimmung, die Korrespondenz, mit der Wirklichkeit
(ausführlicher in Höffe 72012).
Versteht man unter Konsenstheorie der Wahrheit nichts anderes, als dass in
einer wahren Argumentation und einem echten Diskurs für Herrschaftsbezichun-
gen kein Raum bleibt, so klingt die Aussage trivial. Das kann aber nicht gewollt
sein, wenn anders die Polemik der Konsenstheoretiker gegen abweichende Wahr-
heitstheorien ein sinnvolles Motiv hat. Wenn deshalb der Konsens tatsächlich das
einzige, zumindest das entscheidende Wahrheitskriterium sein soll, dann erfüllen
Habermas’ Grundelemente seiner Diskurslogik diesen Anspruch nicht.
Man kann die Konsenstheorie allerdings noch in einem abgeschwächten,
gleichwohl nichttrivialen Sinn verstehen. Danach gilt die Übereinstimmung nicht
als Grund oder Kriterium der Wahrheit, vielmehr als Zeuge oder Bürge. Der Dis-
kurs bliebe auf die Wahrheit und letztlich allein auf sie verpflichtet. Sein einziges
Motiv wäre die (kooperative) Wahrheitssuche, sein einziger Zwang der des bes-
seren Argumentes, wobei die Kriterien des Besser „traditionell“, also korrespon-
denz- und kohärenztheoretisch, zu definieren sind. Kann die Konsenstheorie dann
überzeugen?
Ein Bürge soll für etwas oder für jemanden einstehen. Dort, wo eine Sache
oder eine Person nicht so sicher erscheinen, soll eine (größere) Sicherheit geboten
werden. Für die Wahrheitsproblematik bedeutet dies, dass der Konsens eindeutig
auf Wahrheit verweisen und sie zugleich auf eine sicherere Weise zeigen müsste,
als es durch die Forderung nach Kohärenz und Korrespondenz geschehen könnte.
Nun kann man zwar einen Konsens empirisch feststellen. Habermas denkt jedoch
nicht an irgendeine faktische Übereinstimmung. Sein Konsens meint auch nicht,
was bei Aristoteles evöo^ov heißt, eine Ansicht, die, wie gesagt, allen, den meisten
oder den Weisen, als wahr erscheint. Der Konsens, der allein als Bürge anerkannt
wird, ist vielmehr durch Begründung, das heißt durch Kohärenz und Korrespon-
denz, definiert.
Diese Überlegungen drängen folgende Zwischenbilanz auf: Wer wie Ha-
bermas die Einlösung von wahren Aussagen an den Prozess der Verständigung
geschichtlich handelnder Menschen bindet, der gerät in das Dilemma, dass er ent-
weder die Wahrheit dem verzerrenden Zugriff der Rhetorik, Suggestion, Manipu-
lation, Täuschung und Selbsttäuschung aussetzt, womit der Invarianzanspruch der
Wahrheit verlorengeht. Oder er führt normative Qualifikationen des Konsenses
ein, Qualifikationen die, wie unbegrenzte Forschergemeinschaft (Peirce), kriti-
sche Nachprüfung kompetenter Beurteiler (Kamlah, Lorenzen), potentielle oder
begründete Zustimmung (Habermas), bei näherem Zusehen kein operationales
Legitimationskriterium darstellen. Vor allem lösen sie das Charakteristische von
Konsens auf Statt das Resultat eines geschichtlichen Einigungsprozesses konkreter
Personen zu sein, wird die Wahrheit zum Ergebnis abstrakter Kommunikatoren.
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bei Habermas sowohl die innere Stimmigkeit von Aussagenbündeln, ihre Kohä-
renz, als auch deren Übereinstimmung, die Korrespondenz, mit der Wirklichkeit
(ausführlicher in Höffe 72012).
Versteht man unter Konsenstheorie der Wahrheit nichts anderes, als dass in
einer wahren Argumentation und einem echten Diskurs für Herrschaftsbezichun-
gen kein Raum bleibt, so klingt die Aussage trivial. Das kann aber nicht gewollt
sein, wenn anders die Polemik der Konsenstheoretiker gegen abweichende Wahr-
heitstheorien ein sinnvolles Motiv hat. Wenn deshalb der Konsens tatsächlich das
einzige, zumindest das entscheidende Wahrheitskriterium sein soll, dann erfüllen
Habermas’ Grundelemente seiner Diskurslogik diesen Anspruch nicht.
Man kann die Konsenstheorie allerdings noch in einem abgeschwächten,
gleichwohl nichttrivialen Sinn verstehen. Danach gilt die Übereinstimmung nicht
als Grund oder Kriterium der Wahrheit, vielmehr als Zeuge oder Bürge. Der Dis-
kurs bliebe auf die Wahrheit und letztlich allein auf sie verpflichtet. Sein einziges
Motiv wäre die (kooperative) Wahrheitssuche, sein einziger Zwang der des bes-
seren Argumentes, wobei die Kriterien des Besser „traditionell“, also korrespon-
denz- und kohärenztheoretisch, zu definieren sind. Kann die Konsenstheorie dann
überzeugen?
Ein Bürge soll für etwas oder für jemanden einstehen. Dort, wo eine Sache
oder eine Person nicht so sicher erscheinen, soll eine (größere) Sicherheit geboten
werden. Für die Wahrheitsproblematik bedeutet dies, dass der Konsens eindeutig
auf Wahrheit verweisen und sie zugleich auf eine sicherere Weise zeigen müsste,
als es durch die Forderung nach Kohärenz und Korrespondenz geschehen könnte.
Nun kann man zwar einen Konsens empirisch feststellen. Habermas denkt jedoch
nicht an irgendeine faktische Übereinstimmung. Sein Konsens meint auch nicht,
was bei Aristoteles evöo^ov heißt, eine Ansicht, die, wie gesagt, allen, den meisten
oder den Weisen, als wahr erscheint. Der Konsens, der allein als Bürge anerkannt
wird, ist vielmehr durch Begründung, das heißt durch Kohärenz und Korrespon-
denz, definiert.
Diese Überlegungen drängen folgende Zwischenbilanz auf: Wer wie Ha-
bermas die Einlösung von wahren Aussagen an den Prozess der Verständigung
geschichtlich handelnder Menschen bindet, der gerät in das Dilemma, dass er ent-
weder die Wahrheit dem verzerrenden Zugriff der Rhetorik, Suggestion, Manipu-
lation, Täuschung und Selbsttäuschung aussetzt, womit der Invarianzanspruch der
Wahrheit verlorengeht. Oder er führt normative Qualifikationen des Konsenses
ein, Qualifikationen die, wie unbegrenzte Forschergemeinschaft (Peirce), kriti-
sche Nachprüfung kompetenter Beurteiler (Kamlah, Lorenzen), potentielle oder
begründete Zustimmung (Habermas), bei näherem Zusehen kein operationales
Legitimationskriterium darstellen. Vor allem lösen sie das Charakteristische von
Konsens auf Statt das Resultat eines geschichtlichen Einigungsprozesses konkreter
Personen zu sein, wird die Wahrheit zum Ergebnis abstrakter Kommunikatoren.
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