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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2019 — 2020

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B. Die Mitglieder
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I. Antrittsreden
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Heike Karbstein
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https://doi.org/10.11588/diglit.55176#0188
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B. Die Mitglieder

ich dann Entscheidungsbäume zur Anlagenauswahl ab. Diese Kombination zahlte
sich nach Abschluss meiner Dissertation unmittelbar aus: Ich bekam mehrere An-
gebote aus der Industrie, dies bei Ihnen umzusetzen. Mein Doktorvater bot mir
gleichzeitig die Chance zur Habilitation. Was zog mehr? Die Möglichkeit, einmal
nicht nur für Reisen Karlsruhe verlassen zu können? Oder der Wunsch, die andere
Seite - die Anwendung der Forschung - kennenzulernen? Klar war mir eigentlich
an dieser Stelle meines Lebens schon: Die Universität ist meine Welt. Trotzdem
entschied ich mich, die universitäre Forschung erst einmal zu verlassen, um zu
erfahren, für welche Aufgaben ich meine Studierenden später einmal ausbilde. Ich
muss aber auch zugeben, dass das deutlich bessere Gehalt zog, hatte ich doch bis
dahin für meine Ausbildung immer ganz gehörig dazu verdienen und sehr sparsam
leben müssen. Am liebsten wäre ich dem Angebot von Nestle in die französisch-
sprachige Schweiz gefolgt. Aber die boten mir einen Job als „Vorzeigefrau“: Meine
erste Hauptaufgabe wäre gewesen, Besuchergruppen durchs Forschungszentrum
zu führen und nett zu unterhalten. Ich hörte im Hintergrund: „Und bitte tragen
Sie dabei einen kurzen Rock“ - und sagte das Angebot ab. Ich entschied mich für
die BASF. Grund war vor allem, dass mein zukünftiger Chef mir deutlich vermit-
telte, dass er an mir wegen meiner Kenntnisse interessiert war.
Meine erste Aufgabe bestand darin, die Erkenntnisse meiner Dissertation in
der Firma möglichst zu verbreiten. So tingelte ich durch die verschiedenen For-
schungsabteilungen und alle Betriebe, die irgendwo Emulsionen einsetzten, hielt
Vorträge, warb Projekte ein und durfte die unterschiedlichsten Anwendungen von
Emulsionen kennenlernen: von Pflanzenschutzmitteln über Autolacken zu Wirk-
stoffformulierungen für medizinische Anwendungen. Dabei lernte ich, wie gut
man Wissen aus einem Fachgebiet übertragen kann, wenn man erkennt, dass da-
hinter die gleichen physikalischen oder chemischen Mechanismen stecken. Mein
Wissen aus der Dissertation zum Themenkomplex Milch und Mayonnaise konnte
ich z.B. schnell und zielführend für die Entwicklung eines neuen Produktionsver-
fahrens für Autolacke einsetzen. Wie in der Milch muss man nämlich die kristalli-
nen Inhaltsstoffe nicht unbedingt als Feststoffe zerkleinern. Einfacher ist es, diese
aufzuschmelzen und als Tropfen zu zerkleinern. Die Zerkleinerungsenergie redu-
ziert sich dadurch auf wenige Promille, die benötigte Schmelzenergie kann man
über Wärmeüberträger gut zurückgewinnen. Leider kam es zu massiven Verklum-
pungen. Bei der Problemlösung half mir mein Wissen um die Probleme der Trop-
fenstabilisierung in Mayonnaise. Die molekularen Anforderungen an geeignete
Hilfsstoffe und das benötigte Messverfahren kannte ich bereits aus meiner Disser-
tation. Dieser Lösungsansatz aus der Lebensmittelverfahrenstechnik erlaubte uns
nicht nur, Energie zu sparen, sondern auch die Prozesszeit radikal zu reduzieren,
Lösemittel durch Wasser zu ersetzen und die Lackqualität zu verbessern: Es gab
weniger Krater auf der Autokarosserie. Für mich resultierte eines meiner ersten Pa-
tente und ein Forschungsgebiet, das ich mit Matthias Kind heute noch beackere.

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