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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2019 — 2020

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B. Die Mitglieder
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I. Antrittsreden
DOI Kapitel:
Claudia Maienborn
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https://doi.org/10.11588/diglit.55176#0194
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B. Die Mitglieder

gar nicht da: keine Professur, keine Dozenten! Man behalf sich und vertröstete
uns, indem ab und zu ein Informatiker aus Saarbrücken vorbeischaute und Kurse
anbot; und die eher traditionell ausgerichteten Philologen vor Ort mühten sich
redlich, die Gebrüder Grimm und die altehrwürdige Academie frangaise als Im-
pulsgeber für die Computerlinguistik in Szene zu setzen.
Das wäre in heutigen Akkreditierungszeiten natürlich undenkbar. Aber ich
möchte die Zeit nicht missen, denn so war uns vom ersten Semester an klar, dass es
auf uns selbst ankäme, das Studium zu gestalten, sich nach ergänzenden Angebo-
ten umzuschauen, Sommerschulen zu besuchen usw. Und es ist erstaunlich, wie
viele Trierer Computerlinguisten aus dieser turbulenten Anfangsphase den Weg in
die Forschung gefunden haben.
Die Situation in Trier besserte sich. Es kamen Vertretungsprofessoren ... und
sie gingen wieder. Einer von ihnen war Christopher Habel, der Trier bald in Rich-
tung Hamburg verließ, um dort in der Informatik den Arbeitsbereich Wissens-
und Sprachverarbeitung aufzubauen. Von ihm erhielt ich eines Tages einen Brief,
ob ich nicht nach Hamburg wechseln und eine Hiwi-Stelle bei ihm in einem gro-
ßen Verbundprojekt1 antreten wolle. Ich wollte!
Und so kam es, dass ich in Hamburg (mangels Computerlinguistik-Studien-
gang und dank großzügiger Auslegung der Magister-Studienordnung) schließlich
doch genau das studierte, was ich ursprünglich anvisiert hatte: Germanistik mit
zweitem Hauptfach Informatik.
Im Hamburger Projektumfeld gab es dann auch auf einmal jede Menge faszi-
nierende Linguistik und Linguisten. Endlich zeigten sie sich! Vor allem aber lernte
ich in Hamburg schon während meiner Studienzeit und anschließend als Pro-
jektmitarbeiterin die Schönheit, aber durchaus auch die Mühen interdisziplinären
Arbeitens kennen. Meine Schlussfolgerung daraus war: Für innovative interdiszi-
plinäre Forschung braucht es unbedingt eine robuste disziplinäre Erdung.
Meine Dissertation, mit der ich 1994 in Hamburg promoviert wurde, ist denn
auch ganz in der theoretischen Linguistik verortet und behandelt die Syntax und
Semantik von Lokaladverbialen im Deutschen.
Von Hamburg ging es 1994 auf eine Hochschulassistenz-Stelle an die HU
Berlin, wo ich mich 2002 habilitierte mit einer Arbeit zur Semantik und Pragmatik
der Kopula sein. Sie merken, es wird immer basaler. Oder, um es mit Jacob Grimm
zu sagen: Die Kopula sein ist der „allgemeinste und farbloseste aller verbalbegriffe“.
Genau deshalb lässt sich aus der Untersuchung von sein im Vergleich zu den vor
Kraft und Farbe strotzenden regulären Verben sehr viel Grundsätzliches lernen
über die Natur unseres Verbalsystems und die ontologischen Kategorien, auf die
es Bezug nimmt.

1 LILOG: Linguistische und Logische Methoden zum maschinellen Verstehen des Deutschen;
finanziert von IBM.

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