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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2019 — 2020

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B. Die Mitglieder
DOI Kapitel:
I. Antrittsreden
DOI Kapitel:
Claudia Maienborn
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https://doi.org/10.11588/diglit.55176#0196
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B. Die Mitglieder

wollen, ob wir auf Verstöße gegen sprachliches Wissen anders reagieren als auf
Verstöße gegen unser Weltwissen. Wenn es so etwas wie ein Primat sprachlichen
Wissens beim Verstehen von Sätzen gibt, dann wäre erwartbar, dass sprachliche
Verletzungen früher registriert werden als Weltwissensverletzungen. Unsere bis-
herigen Ergebnisse lassen sich vorsichtig in diese Richtung deuten, allerdings ist
die Gemengelage komplex.
Und schließlich leite ich mit meinem Kollegen Rolf Ulrich im SFB 833 ein
Tandemprojekt von Kognitionspsychologie und Linguistik, in dem wir den Zu-
sammenhang von Zeit und Raum untersuchen. Zeit ist eine abstrakte Größe, zu
der wir keinen unmittelbaren sensorischen Zugang haben. Vieles deutet darauf
hin, dass wir uns abstrakte Konzepte über ein Mapping auf konkrete, sensomo-
torisch fundierte Konzepte erschließen. Im Falle der Zeit wäre dies der Raum.
Aber welchen Status hat ein solches Mapping der Zeit auf den Raum? Findet es
notwendigerweise statt, wenn wir Zeitinformation verarbeiten? Können wir tem-
porale Ausdrücke gar nicht anders verstehen, als über die Aktivierung räumlicher
Muster? Das untersuchen wir in unserem Projekt am Gegenstand des mentalen
Zeitpfeils.
In unserer Kultur verläuft der mentale Zeitpfeil von links nach rechts: Ver-
gangenes assoziieren wir mit links, Zukünftiges mit rechts. Unsere Experimente
zeigen nun, dass wir auf Sätze mit Vergangenheitsbezug tatsächlich schneller z. B.
mit einem Tastendruck links reagieren können und auf Sätze mit Zukunftsbezug
schneller mit einem Tastendruck rechts. Das unterstreicht die kognitive Realität des
mentalen Zeitpfeils. Allerdings zeigen unsere Experimente auch, dass dieser Zeit-
pfeileffekt nur dann auftritt, wenn die Aufgabenstellung die zeitliche Dimension
besonders salient macht. Wenn es einfach nur darum geht, die Sätze zu verstehen,
dann verschwindet der Effekt. Das bedeutet, dass wir offenbar durchaus abstrakte,
amodale Repräsentationsmittel für Zeit haben und diese nur unter bestimmten
Bedingungen räumlich unterfüttert werden. Der größere Forschungskontext, in
den diese Untersuchungen eingebettet sind, zielt auf die Frage, ob Bedeutungs-
repräsentationen ausschließlich symbolischer Natur oder grundsätzlich sensomo-
torisch fundiert sind. Beide Extrempositionen sind nach heutigem Kenntnisstand
nicht haltbar. Umso spannender ist die Frage, wie ein hybrides Modell der menta-
len Bedeutungsrepräsentation ausschen könnte.
Wie geht’s weiter? Was kommt als nächstes? Ich glaube, eine der großen
Forschungsaufgaben, für die die Zeit nun langsam reif scheint, ist die neuerliche
Annäherung und Kooperation der beiden zwischenzeitlich doch recht entfrem-
deten Schwesterdisziplinen Linguistik und Literaturwissenschaft. In einem ko-
gnitionswissenschaftlichen Gesamtrahmen und mit unserer jeweils geschärften
methodischen und theoretischen Expertise lassen sich meines Erachtens inzwi-
schen Fragestellungen formulieren, die Zusammenhang und Differenz zwischen
Alltagssprache und Literatur neu ausleuchten.

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