Nachruf auf Erika Simon
sehend, von vielen aber als unbequeme Zumutung empfunden wurde. Die Alter-
tumswissenschaften waren nach der Katastrophe des Nationalsozialismus auf die
Anknüpfung an die kulturellen Traditionen des Abendlands und ihre Ursprünge
in Griechenland ausgerichtet. Die Klassische Archäologie suchte diese Rückbe-
sinnung einerseits in einer ästhetischen Stilgeschichte der archaischen und klas-
sischen griechischen Kunst, andererseits an den ,authentischen‘ Orten der wieder
aufgenommenen Grabungen in Olympia, Samos und dem Kerameikos von Athen.
Erika Simon wandte sich dagegen schon früh der antiken Bilderwelt in einem sehr
viel weiteren Sinn zu: als Zeugnis einer umfassenden Geschichte der antiken Kul-
tur. Und dabei nahm sie gleichermaßen die griechische wie die römische Kunst in
den Blick. Das war eine starke Herausforderung, zumal von einer jungen Frau in
einer von männlichen Kriegsteilnehmern dominierten Disziplin.
Erika Simon hat so klar wie wenige andere Altertumswissenschaftler ihrer Ge-
neration die Macht von Religion und Mythos erkannt, lange bevor diese im Zug
des ,cultural turn‘ als zentrale Elemente der antiken Kultur- und Sozialgeschichte
erkannt wurden. In ihrer Dissertation über „Opfernde Götter“ (1953) hat sie, weit
über die damals aktuelle Stilgeschichte hinaus, einen Aspekt der griechischen Vor-
stellung von Göttlichkeit entfaltet, der kaum in Schriftquellen Niederschlag ge-
funden hat, sondern genuin der Bildkunst angehört. Ihre Erklärung als Ausdruck
einer spezifischen ,Frömmigkeit4 der Götter hat seinerzeit heftigen Widerspruch
hervorgerufen. Die Diskussionen dauern bis heute an, tendieren jedoch vielfach
wieder in die von ihr gewiesene Richtung. In ihren späteren Arbeiten hat Erika
Simon den Blick auf die Archäologie von Religion und Mythos immer stärker
ausgeweitet: Gegenüber den großen Traditionen der Forschung zur antiken Reli-
gion in Deutschland, England und Frankreich, die stark auf den Zeugnissen und
Konzepten der antiken Literatur begründet waren, ging es ihr vor allem darum,
daneben die Bildwerke und die Kultstätten in den Blick zu rücken.
Sehr wesentlich hat Erika Simon das große internationale „Lexicon Icono-
graphicum Mythologiae Classicae“ mitgeprägt. Darin befinden sich unter ihren
rund 100 Beiträgen die monumentalen Artikel über die großen römischen Gott-
heiten Apollo, Diana, Mars, Mercurius, Neptunus und Vulcanus, die zum Teil
nahezu monographisches Format erreichen. Dasselbe gilt für ihre Beteiligung an
dem Nachfolgeprojekt des „Thesaurus Cultus et Rituum Antiquorum“, zu dem
sie mit einer von ihr geleiteten Equipe einen Halbband über „Weihgeschenke, rö-
misch“ erarbeitet hat. Beide Werke verdanken ihr aber noch viel mehr: In dem
internationalen Redaktions-Komitee, das bei regelmäßigen Sitzungen alle einge-
reichten Artikel durchsprach, war sie eine einzigartig gründliche Leserin, die aus
ihrem unerschöpflichen Wissen zahllose, zum Teil substantielle Berichtigungen,
Ergänzungen und Modifikationen beitrug.
Über diese fundamentalen Instrumente der Forschung hinaus hatte Erika
Simon ausgeprägte Fähigkeiten zu umfassenden Synthesen. Ihre großen Bücher
203
sehend, von vielen aber als unbequeme Zumutung empfunden wurde. Die Alter-
tumswissenschaften waren nach der Katastrophe des Nationalsozialismus auf die
Anknüpfung an die kulturellen Traditionen des Abendlands und ihre Ursprünge
in Griechenland ausgerichtet. Die Klassische Archäologie suchte diese Rückbe-
sinnung einerseits in einer ästhetischen Stilgeschichte der archaischen und klas-
sischen griechischen Kunst, andererseits an den ,authentischen‘ Orten der wieder
aufgenommenen Grabungen in Olympia, Samos und dem Kerameikos von Athen.
Erika Simon wandte sich dagegen schon früh der antiken Bilderwelt in einem sehr
viel weiteren Sinn zu: als Zeugnis einer umfassenden Geschichte der antiken Kul-
tur. Und dabei nahm sie gleichermaßen die griechische wie die römische Kunst in
den Blick. Das war eine starke Herausforderung, zumal von einer jungen Frau in
einer von männlichen Kriegsteilnehmern dominierten Disziplin.
Erika Simon hat so klar wie wenige andere Altertumswissenschaftler ihrer Ge-
neration die Macht von Religion und Mythos erkannt, lange bevor diese im Zug
des ,cultural turn‘ als zentrale Elemente der antiken Kultur- und Sozialgeschichte
erkannt wurden. In ihrer Dissertation über „Opfernde Götter“ (1953) hat sie, weit
über die damals aktuelle Stilgeschichte hinaus, einen Aspekt der griechischen Vor-
stellung von Göttlichkeit entfaltet, der kaum in Schriftquellen Niederschlag ge-
funden hat, sondern genuin der Bildkunst angehört. Ihre Erklärung als Ausdruck
einer spezifischen ,Frömmigkeit4 der Götter hat seinerzeit heftigen Widerspruch
hervorgerufen. Die Diskussionen dauern bis heute an, tendieren jedoch vielfach
wieder in die von ihr gewiesene Richtung. In ihren späteren Arbeiten hat Erika
Simon den Blick auf die Archäologie von Religion und Mythos immer stärker
ausgeweitet: Gegenüber den großen Traditionen der Forschung zur antiken Reli-
gion in Deutschland, England und Frankreich, die stark auf den Zeugnissen und
Konzepten der antiken Literatur begründet waren, ging es ihr vor allem darum,
daneben die Bildwerke und die Kultstätten in den Blick zu rücken.
Sehr wesentlich hat Erika Simon das große internationale „Lexicon Icono-
graphicum Mythologiae Classicae“ mitgeprägt. Darin befinden sich unter ihren
rund 100 Beiträgen die monumentalen Artikel über die großen römischen Gott-
heiten Apollo, Diana, Mars, Mercurius, Neptunus und Vulcanus, die zum Teil
nahezu monographisches Format erreichen. Dasselbe gilt für ihre Beteiligung an
dem Nachfolgeprojekt des „Thesaurus Cultus et Rituum Antiquorum“, zu dem
sie mit einer von ihr geleiteten Equipe einen Halbband über „Weihgeschenke, rö-
misch“ erarbeitet hat. Beide Werke verdanken ihr aber noch viel mehr: In dem
internationalen Redaktions-Komitee, das bei regelmäßigen Sitzungen alle einge-
reichten Artikel durchsprach, war sie eine einzigartig gründliche Leserin, die aus
ihrem unerschöpflichen Wissen zahllose, zum Teil substantielle Berichtigungen,
Ergänzungen und Modifikationen beitrug.
Über diese fundamentalen Instrumente der Forschung hinaus hatte Erika
Simon ausgeprägte Fähigkeiten zu umfassenden Synthesen. Ihre großen Bücher
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