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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2019 — 2020

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B. Die Mitglieder
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II. Nachrufe
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Hölscher, Tonio: Erika Simon (27.6.1927-15.2.2019)
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B. Die Mitglieder

Mit ihrer großen Gelehrsamkeit ist Erika Simon nicht zurückgescheut vor ex-
ponierten Thesen. Skeptische Stimmen haben öfters dagegen eingewandt, dass sie
mit der virtuosen Kombination verschiedenartiger Zeugnisse die Grenzen metho-
discher Interpretation überschreite. Doch die Kritiker sollten es sich nicht zu leicht
machen: Die besonders kühne Rekonstruktion des Westgiebels des Parthenon mit
dem Blitz des Zeus, der zwischen den streitenden Göttern Athena und Poseidon
niederfährt, ist zunächst mit großer Zurückhaltung aufgenommen worden, wur-
de aber bald darauf in spektakulärer Weise durch ein neu aufgetauchtes Vasenbild
bestätigt.
Die internationale Wissenschaft hat Erika Simon hohe Anerkennung erwie-
sen. Sie war Mitglied und Ehrenmitglied zahlreicher nationaler und internatio-
naler Institute, Akademien und Gesellschaften, Trägerin hoher Auszeichnungen,
Orden und Medaillen, und Doctor honoris causa der Universitäten Athen und
Thessaloniki.
Dabei hat sie sich selbst am liebsten als Vermittlerin der Antike an weite Kreise
von interessierten Laien gesehen. In zahllosen Vorträgen jenseits der akademischen
Fachwelt, wie auch in ihren Büchern über die Götter der Griechen und Römer,
entwickelte sie eine große Fähigkeit, die Bildwerke der Antike anschaulich zum
Sprechen zu bringen und wissenschaftliche Fragen verständlich darzustellen. Ger-
ne behauptete sie, ihr wichtigstes Werk sei das Martin-von-Wagner-Museum ihrer
Universität Würzburg, das sie mit großer Liebe geleitet hat. Die Führer durch das
Museum, die sie zusammen mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern schrieb,
sind Musterbeispiele der Fähigkeit, den Besuchern die Augen für die Bedeutung
der einzelnen Bildwerke und Gegenstände zu öffnen.
Erika Simon war eine strenge und anspruchsvolle akademische Lehrerin, dabei
war sie aber von einer großen Flilfsbereitschaft und strahlte immer eine heitere At-
mosphäre aus. Im Lauf der Jahre fanden viele griechische, italienische und türkische
Studierende bei ihr Aufnahme; manche von ihnen hat sie mit einfühlsamer Geduld
über seelische und auch materielle Klippen geführt. Sie selbst hatte in dem sehr
männlich dominierten Fach der Archäologie viele Steine in den Weg gelegt bekom-
men. Darum war sie besonders darauf bedacht, ihren Schülerinnen und jüngeren
Kolleginnen zu ihrer wissenschaftlichen Entfaltung und verdienten Anerkennung
zu verhelfen. Dabei war sie völlig frei von feministischem Eifer: Sie war viel zu vor-
nehm, um offen von ihren zum Teil bedrückenden Erfahrungen zu sprechen.
Erika Simons Blick auf die Griechen und Römer erwuchs aus einer Mensch-
lichkeit, die tiefer ging als die wissenschaftliche Forschung. Sie konnte dabei ein
Glück empfinden, das frei von Idealisierungen war und das ihr auch in der letzten
Lebenszeit, über körperliche Mühen hinweg, ihre innere Jugendlichkeit, ihre geis-
tige Lebendigkeit und einen Schimmer von Heiterkeit bewahrte.
Tonio Hölscher

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