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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2019 — 2020

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D. Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses
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II. Das WIN-Kolleg
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Siebter Forschungsschwerpunkt „Wie entscheiden Kollektive?“
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11. Heiligenleben: Erzählte Heiligkeit zwischen Individualentscheidung und kollektiver Anerkennung
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https://doi.org/10.11588/diglit.55176#0386
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11. Heiligenleben (WIN-Programm)

WIN-Rahmenthemas - kollektives Entscheiden - zu historisieren. Die begriffliche
Alternative von individuellem und kollektivem Entscheiden, so unser Ansatz, ist
spezifisch für die Kultur der Moderne. In mittelalterlichen Narrationen hingegen
sind Entscheidungsträger in ihrer Autonomie stets eingeschränkt, denn eine dritte
Instanz, die göttliche Providenz, steuert individuelles und kollektives Entscheiden.
In keiner anderen Gattung schlagen sich die erzähltheoretischen Vermittlungspro-
bleme, die sich daraus ergeben, deutlicher nieder als in der Heiligenlegende - und
gerade aufgrund ihres in dieser Hinsicht problematischen Status ,fasziniert4 die
Legende auch die Moderne noch.
Diesen Fragen geht das Projekt, das in interdisziplinärer Zusammenarbeit der
katholischen Kirchengeschichte, der germanistischen Mediävistik und der Neue-
ren Deutschen Literaturwissenschaft entsteht, in drei Untersuchungsfeldern nach:
Einen Untersuchungsgegenstand bilden Viten aus der ersten Hälfte des 13. Jahr-
hunderts. In dieser Zeit änderte sich die Gattung der Hagiographie maßgeblich,
was nicht zuletzt auch mit der forcierten Normierung von Heiligkeit zu dieser Zeit
zusammenhängt. Zum zweiten gilt das Interesse biblischen Figuren, deren Bio-
graphien durch den normierten biblischen Text als festgeschrieben gelten, die in
der Hagiographie aber doch weiter- und umgedichtet werden. Ein dritter Schwer-
punkt betrifft das wiedererwachte Interesse an der Gattung in der Literatur der
Moderne, das sich vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart hinein nachverfolgen
lässt: Figurationen und Erzählungen von Heiligkeit verfügen über ein eigenwilliges
Irritationspotential, das aus ihrem ,vormodernen4 Charakter und der skizzierten
Spannung von Autonomie und providentieller Steuerung resultiert.
Ein erster interdisziplinärer Aufsatz ist bereits fertiggestellt: Dr. Marie Gun-
reben und Dr. Daniela Blum gehen anhand von Michael Köhlmeiers Novelle Der
Mann, der Verlorenes wiedeifindet (2017) der Frage nach, auf welche Weise und in
welchen Funktionszusammenhängen tradierte Entwürfe von Heiligkeit in der Ge-
genwartsliteratur fort- und umgeschrieben werden. Köhlmeier knüpft in seiner
Novelle an legendarische Erzählungen über den heiligen Antonius von Padua an,
durchbricht aber die legendarische Poetik und weist sowohl dem Protagonisten als
auch dem Verehrerkollektiv eine andere Rolle im Entscheidungsprozess über die
Heiligkeit zu als die mittelalterlichen Texte.
Die Heidelberger Akademie hat es ermöglicht, den Zuschnitt der Arbeiten
nicht nur interdisziplinär, sondern auch international zu erweitern, indem sie For-
schungsaufenthalte in Frankreich finanziert hat. Dr. Beatrice von Lüpke konnte
daher den September und Oktober des vergangenen Jahres zu einer umfangrei-
chen Recherche in den Pariser Bibliotheken, insbesondere in der Bibliotheque
Nationale de France, und zum intensiven Studium der französischsprachigen For-
schung nutzen, die sich besonders intensiv mit der Hagiographie beschäftigt hat.
Die Ergebnisse dieses Forschungsaufenthaltes werden u. a. in den für das Jahr 2021
zur Veröffentlichung vorgesehenen interdisziplinären Aufsatz einfließen.

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