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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2007 — 2007

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I. Das Geschäftsjahr 2007
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Jahresfeier am 9. Juni 2007
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Wolgast, Eike: Pax optima rerum: Theorie und Praxis des Friedensschlusses in der Neuzeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.66959#0037
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JAHRESFEIER

weg die Brücke zur Vertragskultur des 18. Jahrhunderts zurückzuschlagen. Die Invo-
catio mit der Trinitätsformel wurde ebenso wieder aufgenommen wie die Oblivion
- das völlige Vergessen der Spaltungen („divisions“) in Europa wurde zur Vorausset-
zung für die Befriedung erklärt (Art. 16). Die Amnestie erstreckte sich allerdings nur
auf die Bewohner von Gebieten, die ihren Besitzer wechselten; die entsprechenden
Formulierungen stammten fast wörtlich aus dem Frieden von Amiens. Hinzugefügt
wurde, daß die Amnestie sich auch auf die Anhänglichkeit („attachement“) erstrecke,
die jemand an eine der Kriegsparteien oder an eine Regierung, die nicht mehr
bestehe, gehegt habe. Auch die „politische Meinung“ wurde wie in Campo Formio
und in Amiens unter die zu amnestierenden Tatbestände gezählt. Die alte pax-ami-
citia-Formel wurde aufgegriffen und wie früher mit dem guten Einvernehmen ver-
bunden. Dem restaurierten Königtum gewährten die Siegerstaaten einen doppelten
Vertrauensbeweis: Verzicht auf Garantien für Sicherheit und Stabilität sowie Verzicht
auf Rückerstattung der von Frankreich seit 1792 erhobenen Kontributionen. Aller-
dings mußte Frankreich alle Archive, Karten, Pläne und Urkunden für die von ihm
abgetretenen Gebiete an die neuen Besitzer ausliefern. Die Präambel hob hervor, daß
der Frieden das Prinzip des Gleichgewichts der Kräfte („juste repartition des forces
entre les puissances“) zur Grundlage habe.
Im Gegensatz zum ersten schlug der zweite Pariser Frieden von 1815 unter
dem Eindruck der Erfahrung mit der Hundert-Tage-Herrschaft Napoleons den Weg
zum Straffrieden ein. Selbst die Formel „paix et amitie“ fehlte. In der ausführlichen
Präambel wurde erstmals in der neuzeitlichen Vertragsgeschichte eine Kriegsschuld
festgestellt, wenn auch sorgfältig vermieden war, das erneut restaurierte bourbom-
sche Königtum irgendwie zu belasten. Das Wort „Krieg“ tauchte nicht auf, stattdes-
sen erschienen Bezeichnungen wie „attentat“ oder „bouleversement“. Als Schuldi-
ge wurden Napoleon und das zu seiner Unterstützung ins Werk gesetzte „revolu-
tionäre System“ benannt - die früheren Beziehungen zwischen Frankreich und
seinen Nachbarn waren durch „funestes effets de la revolution“ und durch das
„Systeme de conquete“ zerstört worden. Der Sieg der Alliierten hatte Europa vor der
Zerrüttung bewahrt, der Frieden sollte nun dazu dienen, die königliche Autorität in
Frankreich zu stabilisieren und die erneute Wirksamkeit der Charte constitutionelle
zu ermöglichen. Im Gegensatz zum Vorjahr deklarierten die Sieger jetzt die Not-
wendigkeit „berechtigter Entschädigung für das Vergangene“ und „dauerhafter
Garantien für die Zukunft“. Als Entschädigung hatte Frankreich 700 Millionen Frcs.
zu bezahlen (Art. 4); anders als von Napoleon wurde diese Zahlung nicht als Entgelt
für entgangene Kontributionen verstanden, sondern als Gegenleistung für die aufge-
wendeten Kriegskosten. Mit der Begründung, daß der Unruhezustand in Frankreich
noch anhalte, wurden die Grenzprovinzen für die Dauer von drei bis fünf Jahren mit
bis zu 150.000 Mann besetzt, deren Unterhaltskosten Frankreich zu tragen hatte.
Eine eigene Amnestieformel enthielt der zweite Pariser Frieden nicht; stattdessen
wurde auf den Vorgängerfrieden verwiesen und dessen Bestimmungen wurden auf
die jetzt zusätzlich abgetretenen Gebiete erstreckt.
Die Friedensverträge des 19. Jahrhunderts waren mit Ausnahme der inner-
deutschen Verträge von 1866 durchweg in französischer Sprache abgefaßt, ohne daß
 
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