9. Juni 2007 | 51
irgendeine Seite einen Vorbehalt geltend gemacht hätte. Die Formalstrukturen blie-
ben im wesentlichen unverändert, die Oblivionsformel war 1814 zum letztenmal
verwendet worden. Religiöse Wendungen waren nur noch durch die Invocatio
repräsentiert und wurden, wenn das Osmanische Reich Vertragspartner war, abge-
wandelt: Statt der Trinität wurde dann der allmächtige Gott angerufen. So wurde im
Pariser Frieden 1856 verfahren, der den Krimkrieg abschloß. Dieser Vertrag enthielt
erstmals eine neue Amnestieformel: Sie erstreckte sich jeweils nur noch auf die
Angehörigen des eigenen Staates, die während des Krieges für die Gegenseite tätig
gewesen waren (Art. 5). Das Osmanische Reich wurde im Pariser Frieden ausdrück-
lich unter die europäischen Mächte aufgenommen, um an den Vorteilen „des Völ-
kerrechts und des europäischen Konzerts“ teilhaben zu können.
Die Friedensverträge zur italienischen und deutschen Einigung wichen äußer-
lich kaum von den tradierten Normen ab* * 25, während der Frankfurter Frieden zwi-
schen dem Deutschen Reich und Frankreich 1871 einen Bruch mit der üblichen
Gestaltung eines Friedensvertrags herbeiführte, abgesehen davon, daß er nach wie
vor in französischer Sprache abgefaßt war: Invocatio und Präambel fielen weg, eben-
so die Versicherung von Frieden und Freundschaft. In der internen Berliner Diskus-
sion über den Text hatte Bismarck diese Auslassung pragmatisch begründet: „Die
Stipulation eines immerwährenden Friedens bedeutet nach der Erfahrung wenig.“26
Da die Unterhändler in seiner Sicht allzu sehr über die Formalien diskutierten und
die französische Delegation nach seiner Meinung die Verhandlungen nur in die
Länge ziehen wollte, verlangte Bismarck aus Sorge vor einer Intervention der ande-
ren Großmächte, auf „Förmlichkeiten ..., die ohne Nachteil für den Zweck entbehrt
werden könnten“, zu verzichten.27 In seiner Reichstagsrede nach Abschluß des Frie-
dens hob er dann allerdings hervor, daß Deutschland erreicht habe, „was wir von
Frankreich vernünftigerweise und nach den Traditionen, die anderen Friedens-
schlüssen zugrunde liegen, verlangen konnten“; zudem schloß er „mit dem Aus-
druck der Hoffnung ..., daß dieser Frieden em dauerhafter und segensreicher sein
... möge“.28
Schon der Präliminarfrieden von Versailles legte die Abtretung Elsaß-Lothrin-
gens und die Zahlung von 5 Milliarden Frcs. fest, ohne daß irgendeine Begründung
dafür gegeben wurde; ebensowenig geschah dies im Frankfurter Frieden. Elsaß und
Lothringen erschienen im Text nur als „territoires cedes“, einmal — ob beabsichtigt,
sei dahingestellt — als „le territoire reuni ä l’Allemagne“ (Art. 2). Die Amnestie für
politische oder militärische Handlungen während des Krieges erstreckte sich nur auf
die französischen Staatsbürger („sujets francais originaires“) in den abgetretenen
2’ Die Texte sind gesammelt bei Beatrix Mesmer (Hg.), Napoleon III. und die italienische Einigung
(= Quellen zur Neueren Geschichte Heft 30), Bern 1969; dies. (Hg.), Friedensverträge aus der
Zeit der deutschen Einigung (= Quellen zur Neueren Geschichte Heft 31), Bern 1974.
26 Hans Goldschmidt, Bismarck und die Friedensunterhändler 1871. Die deutsch-französischen Frie-
densverhandlungen zu Brüssel und Frankfurt März-Dezember 1871, Berlin/Leipzig 1929, 9.
27 Ebd., 55.
_s Rede vom 12. Mai 1871, in: Otto von Bismarck, Werke in Auswahl Bd. 5, Darmstadt 1973, 69.
irgendeine Seite einen Vorbehalt geltend gemacht hätte. Die Formalstrukturen blie-
ben im wesentlichen unverändert, die Oblivionsformel war 1814 zum letztenmal
verwendet worden. Religiöse Wendungen waren nur noch durch die Invocatio
repräsentiert und wurden, wenn das Osmanische Reich Vertragspartner war, abge-
wandelt: Statt der Trinität wurde dann der allmächtige Gott angerufen. So wurde im
Pariser Frieden 1856 verfahren, der den Krimkrieg abschloß. Dieser Vertrag enthielt
erstmals eine neue Amnestieformel: Sie erstreckte sich jeweils nur noch auf die
Angehörigen des eigenen Staates, die während des Krieges für die Gegenseite tätig
gewesen waren (Art. 5). Das Osmanische Reich wurde im Pariser Frieden ausdrück-
lich unter die europäischen Mächte aufgenommen, um an den Vorteilen „des Völ-
kerrechts und des europäischen Konzerts“ teilhaben zu können.
Die Friedensverträge zur italienischen und deutschen Einigung wichen äußer-
lich kaum von den tradierten Normen ab* * 25, während der Frankfurter Frieden zwi-
schen dem Deutschen Reich und Frankreich 1871 einen Bruch mit der üblichen
Gestaltung eines Friedensvertrags herbeiführte, abgesehen davon, daß er nach wie
vor in französischer Sprache abgefaßt war: Invocatio und Präambel fielen weg, eben-
so die Versicherung von Frieden und Freundschaft. In der internen Berliner Diskus-
sion über den Text hatte Bismarck diese Auslassung pragmatisch begründet: „Die
Stipulation eines immerwährenden Friedens bedeutet nach der Erfahrung wenig.“26
Da die Unterhändler in seiner Sicht allzu sehr über die Formalien diskutierten und
die französische Delegation nach seiner Meinung die Verhandlungen nur in die
Länge ziehen wollte, verlangte Bismarck aus Sorge vor einer Intervention der ande-
ren Großmächte, auf „Förmlichkeiten ..., die ohne Nachteil für den Zweck entbehrt
werden könnten“, zu verzichten.27 In seiner Reichstagsrede nach Abschluß des Frie-
dens hob er dann allerdings hervor, daß Deutschland erreicht habe, „was wir von
Frankreich vernünftigerweise und nach den Traditionen, die anderen Friedens-
schlüssen zugrunde liegen, verlangen konnten“; zudem schloß er „mit dem Aus-
druck der Hoffnung ..., daß dieser Frieden em dauerhafter und segensreicher sein
... möge“.28
Schon der Präliminarfrieden von Versailles legte die Abtretung Elsaß-Lothrin-
gens und die Zahlung von 5 Milliarden Frcs. fest, ohne daß irgendeine Begründung
dafür gegeben wurde; ebensowenig geschah dies im Frankfurter Frieden. Elsaß und
Lothringen erschienen im Text nur als „territoires cedes“, einmal — ob beabsichtigt,
sei dahingestellt — als „le territoire reuni ä l’Allemagne“ (Art. 2). Die Amnestie für
politische oder militärische Handlungen während des Krieges erstreckte sich nur auf
die französischen Staatsbürger („sujets francais originaires“) in den abgetretenen
2’ Die Texte sind gesammelt bei Beatrix Mesmer (Hg.), Napoleon III. und die italienische Einigung
(= Quellen zur Neueren Geschichte Heft 30), Bern 1969; dies. (Hg.), Friedensverträge aus der
Zeit der deutschen Einigung (= Quellen zur Neueren Geschichte Heft 31), Bern 1974.
26 Hans Goldschmidt, Bismarck und die Friedensunterhändler 1871. Die deutsch-französischen Frie-
densverhandlungen zu Brüssel und Frankfurt März-Dezember 1871, Berlin/Leipzig 1929, 9.
27 Ebd., 55.
_s Rede vom 12. Mai 1871, in: Otto von Bismarck, Werke in Auswahl Bd. 5, Darmstadt 1973, 69.