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ANTRITTSREDEN
modell zum Nationalstaat des 19. und frühen 20. Jahrhundert war mir als Nord-
deutschem weniger leicht nachvollziehbar. Dennoch bearbeitete ich in meiner Dis-
sertation ein landesgeschichtliches Thema, das sich gut in die Forschungsperspekti-
ven von Press einfugte, die Geschichte der Grafen von Fürstenberg und ihrer Terri-
torialverwaltung im 16. und 17. Jahrhundert. An die Dissertation schloß sich eine
Ausbildung zum Archivar in Stuttgart und Marburg an, deren theoretischen Teil in
Marburg ich jedoch nur durch intensive Lektüre des literarischen Oeuvres von P. G.
Wodehouse während des oft recht stumpfsinnigen schulartigen Unterrichts Über-
stand. Wenn ich jemals den Wunsch hatte Archivar zu werden, so wurde er mir durch
die Marburger Ausbildung und durch die baden-württembergische Archivverwal-
tung rasch ausgetrieben, statt dessen ging ich 1985 nach London an das Deutsche
Historische Institut. Die englische Geschichte hatte mich von jeher fasziniert. Hier
mag eine Rolle gespielt haben, daß die Kontinuitätslinien, die die entferntere Ver-
gangenheit mit dem 20. Jahrhundert verbinden, in Großbritannien doch deutlicher
als bei uns erkennbar sind. Die Versuchung, die eigene Nationalgeschichte auf die
acht Jahrzehnte nach 1918 zu reduzieren, ist in England auch immer noch geringer
als bei uns trotz der gegenteiligen auch dort erkennbaren löblichen Bemühungen des
Schulunterrichts. Eine gewisse, schon in meiner Jugend entwickelte Anglophilie und
die Tatsache, daß ich zahlreiche englische Verwandte in all possible walks of life habe,
spielten vielleicht auch eine Rolle. Meine Habilitation widmete ich dem Hof Karls
I. zwischen 1625 und 1640. Die Arbeit in London war freilich nicht einfach, ich
mußte zunächst erkennen, daß ich als Habilitand nicht mehr von englischer
Geschichte verstand als viele britische Doktoranden und nur ausgedehnte Diskus-
sionen im Bedford Arms in der Nähe des Institute of Historical Research und zahl-
reiche pints Abbot’s Ale, em Bier, dem ich mittlerweile allerdings Adnam’s oder Tay-
lor’s Landlord Ale dezidiert vorziehe, wie ich ausdrücklich betonen muß, ließen mich
nach und nach Anschluß an die englische Forschung gewinnen. Die Tatsache, daß
britische Historiker meist viel stärker spezialisiert sind als deutsche und oft ein Leben
lang über lediglich 60 oder 80 Jahre ihrer eigenen Nationalgeschichte arbeiten,
macht es schwer, mit dieser Konkurrenz mitzuhalten. Im Vergleich zu unseren eng-
lischen Kollegen sind wir ausgeprägte Generalisten, aber auch in gewisser Weise
Dilettanten, was sich auch daraus erklären mag, daß in England an einem mittel-
großen Department oft fünf oder sechs oder auch noch mehr Frühneuzeitexperten
beschäftigt sind, während es in Deutschland meistens nur einen Professor mit maxi-
mal zwei Assistenten gibt.
Mit diesem Problem habe ich freilich nolens volens gelernt zu leben, wenn
auch oft mehr nolens als volens. An die Zeit in England schlossen sich einige Jahre
als Assistent am Lehrstuhl von Heinz Duchhardt in Münster an. Der liberale Stil
Heinz Duchhardts, dem ich auch ein stärkeres Interesse an der Geschichte der
europäischen Monarchie und ihrer Selbstdarstellung verdanke, aber auch das Klima
am historischen Seminar in Münster ganz allgemein, das überaus kollegial und fried-
lich war, lassen mich gerne auf diese Zeit zurückblicken. In Münster lernte ich auch
meine spätere Frau kennen, die mir als studierte Germanistin immer wieder klar zu
machen versucht, daß wir Historiker im Vergleich zum intellektuellen Glanz der
ANTRITTSREDEN
modell zum Nationalstaat des 19. und frühen 20. Jahrhundert war mir als Nord-
deutschem weniger leicht nachvollziehbar. Dennoch bearbeitete ich in meiner Dis-
sertation ein landesgeschichtliches Thema, das sich gut in die Forschungsperspekti-
ven von Press einfugte, die Geschichte der Grafen von Fürstenberg und ihrer Terri-
torialverwaltung im 16. und 17. Jahrhundert. An die Dissertation schloß sich eine
Ausbildung zum Archivar in Stuttgart und Marburg an, deren theoretischen Teil in
Marburg ich jedoch nur durch intensive Lektüre des literarischen Oeuvres von P. G.
Wodehouse während des oft recht stumpfsinnigen schulartigen Unterrichts Über-
stand. Wenn ich jemals den Wunsch hatte Archivar zu werden, so wurde er mir durch
die Marburger Ausbildung und durch die baden-württembergische Archivverwal-
tung rasch ausgetrieben, statt dessen ging ich 1985 nach London an das Deutsche
Historische Institut. Die englische Geschichte hatte mich von jeher fasziniert. Hier
mag eine Rolle gespielt haben, daß die Kontinuitätslinien, die die entferntere Ver-
gangenheit mit dem 20. Jahrhundert verbinden, in Großbritannien doch deutlicher
als bei uns erkennbar sind. Die Versuchung, die eigene Nationalgeschichte auf die
acht Jahrzehnte nach 1918 zu reduzieren, ist in England auch immer noch geringer
als bei uns trotz der gegenteiligen auch dort erkennbaren löblichen Bemühungen des
Schulunterrichts. Eine gewisse, schon in meiner Jugend entwickelte Anglophilie und
die Tatsache, daß ich zahlreiche englische Verwandte in all possible walks of life habe,
spielten vielleicht auch eine Rolle. Meine Habilitation widmete ich dem Hof Karls
I. zwischen 1625 und 1640. Die Arbeit in London war freilich nicht einfach, ich
mußte zunächst erkennen, daß ich als Habilitand nicht mehr von englischer
Geschichte verstand als viele britische Doktoranden und nur ausgedehnte Diskus-
sionen im Bedford Arms in der Nähe des Institute of Historical Research und zahl-
reiche pints Abbot’s Ale, em Bier, dem ich mittlerweile allerdings Adnam’s oder Tay-
lor’s Landlord Ale dezidiert vorziehe, wie ich ausdrücklich betonen muß, ließen mich
nach und nach Anschluß an die englische Forschung gewinnen. Die Tatsache, daß
britische Historiker meist viel stärker spezialisiert sind als deutsche und oft ein Leben
lang über lediglich 60 oder 80 Jahre ihrer eigenen Nationalgeschichte arbeiten,
macht es schwer, mit dieser Konkurrenz mitzuhalten. Im Vergleich zu unseren eng-
lischen Kollegen sind wir ausgeprägte Generalisten, aber auch in gewisser Weise
Dilettanten, was sich auch daraus erklären mag, daß in England an einem mittel-
großen Department oft fünf oder sechs oder auch noch mehr Frühneuzeitexperten
beschäftigt sind, während es in Deutschland meistens nur einen Professor mit maxi-
mal zwei Assistenten gibt.
Mit diesem Problem habe ich freilich nolens volens gelernt zu leben, wenn
auch oft mehr nolens als volens. An die Zeit in England schlossen sich einige Jahre
als Assistent am Lehrstuhl von Heinz Duchhardt in Münster an. Der liberale Stil
Heinz Duchhardts, dem ich auch ein stärkeres Interesse an der Geschichte der
europäischen Monarchie und ihrer Selbstdarstellung verdanke, aber auch das Klima
am historischen Seminar in Münster ganz allgemein, das überaus kollegial und fried-
lich war, lassen mich gerne auf diese Zeit zurückblicken. In Münster lernte ich auch
meine spätere Frau kennen, die mir als studierte Germanistin immer wieder klar zu
machen versucht, daß wir Historiker im Vergleich zum intellektuellen Glanz der