296 I FÖRDERUNG DES WISSENSCHAFTLICHEN NACHWUCHSES
struktion einer Ferrareser Vergangenheit zur ‘Staatsbildung’ in Ferrara und der
damit verbundenen politischen Kultur steht. Als drei übergreifende Ergebnisse im
methodologischen Kontext des Gesamtprojekts ließen sich u.a. folgende Punkte
anführen:
- Vorgeschichte des Humanismus: eines der wichtigen Ergebnisse geht mit einer
Korrektur der bisherigen Periodisierung der Ferrareser intellectual history einher:
gerade der historiographische Diskurs zeigt sehr deutlich, daß eine nennenswer-
te und einflußreiche Kultur bereits lange vor der ‘Ankunft’ des Humanismus in
Ferrara im erstenViertel des 15. Jh. existierte. Besonders einschlägig sind dabei (/)
die engen Zusammenhänge zwischen politischer Theonebildung und Historio-
graphie, die sich im Fall Ferraras um 1300 als - so noch nicht bekannte - Ver-
suche erwiesen, die signoriale Herrschaft der Este gerade nicht über Konzepte
von Monarchie, sondern über kommunale Ideologien zu legitimieren; (n) die
subtile antiestensische Historiographie des Riccobaldo von Ferrara; (iii) das
historiographische Werk des Ferrareser Kanzlers Delayto, der die jüngste Ge-
schichte nicht nur aus seinen offiziellen Protokollen heraus schreibt, sondern ver-
sucht, im historischen Narrativ die ‘Mechanik’ der neuen Institutionen Ferraras
sichtbar werden zu lassen.
- Neubewertung humanistischer Historiographie im 15. Jahrhundert: in der zweiten Hälfte
des Quattrocento ließ sich ein für die höfische Kultur Ferraras wichtiger, hoch-
gradig vernetzter Diskurs über dieVergangenheit Ferraras herausarbeiten, der sich
in Historien, Reden, literarischen Epen und theoretischeren Texten findet. Über-
greifend wichtig war dabei nicht nur, daß gerade literarische, aus den zentralen
Quellen der Ferrareser Geschichte gearbeitete Darstellungen auf subtile Weise
herzogliche politisch-kulturelle Programme (z.B. Baupolitik, Frieden mit Vene-
dig) transportieren, sondern sich das Schreiben von Geschichte — implizit wie
explizit in der theoretischen Reflexion (Michele Savonarola!) — als Teil einer
komplex produzierten, für die Machtverteilung in Ferrara zentralen politischen
Kommunikation und wechselseitigen Stabilisierung zwischen Herzog und
bestimmten einflußreichen Gruppen erweist.
- Pragmatische Dimensionen der Geschichtsschreibung: im Falle der wichtigsten Ferra-
reser Geschichte, der Historia Ferrariae des Diplomaten und Gelehrten Pellegrino
Pnscianis (gest. 1519) ließ sich auf der Basis von Selbstaussagen, Briefen und Pro-
logen sowie durch Analyse offizieller Reden zeigen, daß sein Werk ganz der
Verwendung von Geschichte im diplomatisch-politischen Kontext gearbeitet ist:
insbesondere die spezifische nicht-narrative Struktur des Werks, das offizielle
Dokumente nicht nur benutzt oder zitiert, sondern ‘zeigt’, läßt sich dabei ganz
aus diesem pragmatischen Kontext her verstehen. Exemplarisch zeigt sich bei
Prisciani auch, welche zentrale Rolle die Konstruktion eines Ferrareser Staatsge-
bietes für den historiographischen Diskurs spielt.
Im ganzen zeigte sich, daß der archäologisch-genealogische Ansatz jenseits
medienfixierter oder diskursgeschichtlicher Arbeiten neue Aspekte humanistischer
Historiographie aufzuweisen hilft und sich auf andere, sei es stark erforschte (Flo-
renz), sei es kaum untersuchte italienische Kontexte übertragen ließe.
struktion einer Ferrareser Vergangenheit zur ‘Staatsbildung’ in Ferrara und der
damit verbundenen politischen Kultur steht. Als drei übergreifende Ergebnisse im
methodologischen Kontext des Gesamtprojekts ließen sich u.a. folgende Punkte
anführen:
- Vorgeschichte des Humanismus: eines der wichtigen Ergebnisse geht mit einer
Korrektur der bisherigen Periodisierung der Ferrareser intellectual history einher:
gerade der historiographische Diskurs zeigt sehr deutlich, daß eine nennenswer-
te und einflußreiche Kultur bereits lange vor der ‘Ankunft’ des Humanismus in
Ferrara im erstenViertel des 15. Jh. existierte. Besonders einschlägig sind dabei (/)
die engen Zusammenhänge zwischen politischer Theonebildung und Historio-
graphie, die sich im Fall Ferraras um 1300 als - so noch nicht bekannte - Ver-
suche erwiesen, die signoriale Herrschaft der Este gerade nicht über Konzepte
von Monarchie, sondern über kommunale Ideologien zu legitimieren; (n) die
subtile antiestensische Historiographie des Riccobaldo von Ferrara; (iii) das
historiographische Werk des Ferrareser Kanzlers Delayto, der die jüngste Ge-
schichte nicht nur aus seinen offiziellen Protokollen heraus schreibt, sondern ver-
sucht, im historischen Narrativ die ‘Mechanik’ der neuen Institutionen Ferraras
sichtbar werden zu lassen.
- Neubewertung humanistischer Historiographie im 15. Jahrhundert: in der zweiten Hälfte
des Quattrocento ließ sich ein für die höfische Kultur Ferraras wichtiger, hoch-
gradig vernetzter Diskurs über dieVergangenheit Ferraras herausarbeiten, der sich
in Historien, Reden, literarischen Epen und theoretischeren Texten findet. Über-
greifend wichtig war dabei nicht nur, daß gerade literarische, aus den zentralen
Quellen der Ferrareser Geschichte gearbeitete Darstellungen auf subtile Weise
herzogliche politisch-kulturelle Programme (z.B. Baupolitik, Frieden mit Vene-
dig) transportieren, sondern sich das Schreiben von Geschichte — implizit wie
explizit in der theoretischen Reflexion (Michele Savonarola!) — als Teil einer
komplex produzierten, für die Machtverteilung in Ferrara zentralen politischen
Kommunikation und wechselseitigen Stabilisierung zwischen Herzog und
bestimmten einflußreichen Gruppen erweist.
- Pragmatische Dimensionen der Geschichtsschreibung: im Falle der wichtigsten Ferra-
reser Geschichte, der Historia Ferrariae des Diplomaten und Gelehrten Pellegrino
Pnscianis (gest. 1519) ließ sich auf der Basis von Selbstaussagen, Briefen und Pro-
logen sowie durch Analyse offizieller Reden zeigen, daß sein Werk ganz der
Verwendung von Geschichte im diplomatisch-politischen Kontext gearbeitet ist:
insbesondere die spezifische nicht-narrative Struktur des Werks, das offizielle
Dokumente nicht nur benutzt oder zitiert, sondern ‘zeigt’, läßt sich dabei ganz
aus diesem pragmatischen Kontext her verstehen. Exemplarisch zeigt sich bei
Prisciani auch, welche zentrale Rolle die Konstruktion eines Ferrareser Staatsge-
bietes für den historiographischen Diskurs spielt.
Im ganzen zeigte sich, daß der archäologisch-genealogische Ansatz jenseits
medienfixierter oder diskursgeschichtlicher Arbeiten neue Aspekte humanistischer
Historiographie aufzuweisen hilft und sich auf andere, sei es stark erforschte (Flo-
renz), sei es kaum untersuchte italienische Kontexte übertragen ließe.