III. Veranstaltungen
wenn er, wie der Mond, mal mehr, mal weniger zu sehen war, ganz so, wie es im
3. Vers von Der Mond ist aufgegangen, das ich zu Anfang zitierte, heißt:
Seht ihr den Mond dort stehen,
er ist nur halb zu sehen
und ist doch rund und schön.
So sind wohl manche Sachen,
die wir getrost belachen,
weil unsre Augen sie nicht seh’n.
Rudolf Wagner hat vielen von uns, seiner Familie, seinen Schülern, seinen Kolle-
gen, seinen Freunden, immer wieder die Augen geöffnet. Er hat uns gezeigt, wie
wichtig es ist, selbst das zu sehen, was nicht immer oder sofort sichtbar ist - die
Vielheit im Einen. Er hat uns gelehrt, genau hinzuschauen, richtig (und also kri-
tisch) zuzuhören, ernsthaft nachzuempfmden - nicht immer leicht für den Sinolo-
gen. Er half uns, in Momenten der Einsamkeit, der Leere und der Verzweiflung, die
wir alle kennen, nicht aufzugeben, weiterzumachen, an den Freund zu denken, der
uns auch in weiter Ferne beistand, im Schimmer des Mondscheins. Er ermöglichte
es uns so, und zwar nicht nur den Sinologen, Raum und Zeit zu überwinden, fast
wie in Eichendorffs Mondnacht, die der stillen Mondnacht des Li Bai frappierend
ähnlich ist - nicht anders als die Gedanken Plotins denen Wang Bis?
Es war, als hätt’ der Himmel
Die Erde still geküsst,
Dass sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müsst’.
Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis’ die Wälder,
So sternklar war die Nacht.
Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.
Mal mehr, mal weniger sichtbar, mal gänzlich unsichtbar, wie der Mond, hin- und
herpendelnd nicht nur zwischen Harvard und Heidelberg, sondern auch noch
vielen weiteren Orten in China, Taiwan, Japan und Europa, war Rudolf Wagner
dennoch immer eine ständige Präsenz und eine unaufhörliche Inspiration - nicht
nur durch seine E-Mails, Tenor „do this, read this, get this“. Er hat uns, nicht nur
in Gedanken, weit weg fliegen lassen, und er hat uns dazu gebracht, immer wieder
auch Erdung, und ein Zuhause zu finden. Und so bleibt er hoffentlich, auch am
irdischen Ende, immer noch bei uns.
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wenn er, wie der Mond, mal mehr, mal weniger zu sehen war, ganz so, wie es im
3. Vers von Der Mond ist aufgegangen, das ich zu Anfang zitierte, heißt:
Seht ihr den Mond dort stehen,
er ist nur halb zu sehen
und ist doch rund und schön.
So sind wohl manche Sachen,
die wir getrost belachen,
weil unsre Augen sie nicht seh’n.
Rudolf Wagner hat vielen von uns, seiner Familie, seinen Schülern, seinen Kolle-
gen, seinen Freunden, immer wieder die Augen geöffnet. Er hat uns gezeigt, wie
wichtig es ist, selbst das zu sehen, was nicht immer oder sofort sichtbar ist - die
Vielheit im Einen. Er hat uns gelehrt, genau hinzuschauen, richtig (und also kri-
tisch) zuzuhören, ernsthaft nachzuempfmden - nicht immer leicht für den Sinolo-
gen. Er half uns, in Momenten der Einsamkeit, der Leere und der Verzweiflung, die
wir alle kennen, nicht aufzugeben, weiterzumachen, an den Freund zu denken, der
uns auch in weiter Ferne beistand, im Schimmer des Mondscheins. Er ermöglichte
es uns so, und zwar nicht nur den Sinologen, Raum und Zeit zu überwinden, fast
wie in Eichendorffs Mondnacht, die der stillen Mondnacht des Li Bai frappierend
ähnlich ist - nicht anders als die Gedanken Plotins denen Wang Bis?
Es war, als hätt’ der Himmel
Die Erde still geküsst,
Dass sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müsst’.
Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis’ die Wälder,
So sternklar war die Nacht.
Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.
Mal mehr, mal weniger sichtbar, mal gänzlich unsichtbar, wie der Mond, hin- und
herpendelnd nicht nur zwischen Harvard und Heidelberg, sondern auch noch
vielen weiteren Orten in China, Taiwan, Japan und Europa, war Rudolf Wagner
dennoch immer eine ständige Präsenz und eine unaufhörliche Inspiration - nicht
nur durch seine E-Mails, Tenor „do this, read this, get this“. Er hat uns, nicht nur
in Gedanken, weit weg fliegen lassen, und er hat uns dazu gebracht, immer wieder
auch Erdung, und ein Zuhause zu finden. Und so bleibt er hoffentlich, auch am
irdischen Ende, immer noch bei uns.
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