B. Die Mitglieder
chem Einmischen in Wasser gerne essen und gut verdauen können. Mein Team
entwickelte dafür einen Extrusionsprozess. Dieser benutzt eine Anlage, die bis da-
hin nur zur Herstellung von Pasta und Frühstückzerealien eingesetzt wurde. Wäre
es uns nicht gelungen, zu verstehen, wie man Polymere unter Wassermangel lösen
und daraus Gelee bilden kann, hätten wir einige bereits investierte Millionen in
den Sand gesetzt.
Eine weitere wichtige Erfahrung konnte ich aus dieser Zeit mitnehmen: Als
Forscherin war ich es gewohnt, dass alle wichtigen Produkteigenschaften im Labor
genauestens chemisch und physikalisch analysiert werden können. Es resultieren
belastbare Zahlenwerte. Man kann Zielgrößen definieren und Prozesse danach
auslegen. Nur - mit welcher Messtechnik misst man Geschmack und Mundge-
fühl? Glauben Sie bloß nicht, dass ein Säugling etwas schluckt, das auch nur den
geringsten unbekannten Nebengeschmack hat oder nicht perfekt weich im Mund
ist! Die einzige Messtechnik für diese beiden Eigenschaften fanden wir nicht in den
wirklich gut ausgestatteten Qualitätssicherungslabors unserer Forschungszentren
und Fabriken, sondern in uns selber: Die menschlichen Sinne siegten über jedes
Messgerät. Dies bedeutete für mich auch: Während unserer Versuche in unserer
Fabrik in Brasilien gab es morgens, mittags und abends stundenlange „Degustati-
onen“ - gemeinsames Babybreiessen und Geruch, Geschmack und Mundgefühl
beschreiben. Nie hatte ich so viel Lust auf ein saftiges Steak wie nach einem sol-
chen Fabrikeinsatz! Ganz nebenbei - man nimmt gnadenlos zu als menschliches
„Analysengerät“.
Der nächste Drahtseilakt begann mit meinem Entschluss, eine Familie zu
gründen. In der französischsprachigen Schweiz waren arbeitende Mütter auch
damals schon Standard. Es gab also ein funktionierendes Kinderbetreuungssys-
tem ab der sechsten Lebenswoche. Denn gesetzlich gab es genau sechs Wochen
Mutterschutz inkl. Elternzeit. Ich verzichtete wie fast alle auf Mutterschutz und
arbeitete bis zum Tag vor der Geburt, um die sechs Wochen Zeit mit meinem Baby
auszukosten. Gleich nach der Geburt fragte ich nach Teilzeit für das erste Lebens-
jahr und erfuhr, dass das staatliche Sozialsystem zwar die Bedürfnisse von Müttern
kannte, nicht aber mein Arbeitgeber: Der erklärte mir, dass ich meine inzwischen
erhaltene Stelle als Gruppenleiterin in Teilzeit nicht wahrnehmen könne. Selbst
Projektleitung war nur in Vollzeit zu vergeben. Teilzeitkräfte müssten im Techni-
kum arbeiten.
Der Zeitpunkt war gekommen, den ursprünglichen Plan „Universität“ wie-
der anzugehen. Ich bewarb mich erfolgreich um ein DFG Habilitationsstipendium
und begann, mich auf freie Professuren zu bewerben. Bereits nach einem Jahr be-
kam ich die Stelle als Institutsleiterin für Bio- und Lebensmittelverfahrenstechnik
am heutigen Max-Rubner-Institut (MRI) mit Lehrauftrag am heutigen KIT. Dies
brachte mich zurück nach Karlsruhe und erlaubte meinem inzwischen verrenteten
Vater, mich durch Kinderbetreuung zu unterstützen. Denn Kitas oder Ganztages-
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chem Einmischen in Wasser gerne essen und gut verdauen können. Mein Team
entwickelte dafür einen Extrusionsprozess. Dieser benutzt eine Anlage, die bis da-
hin nur zur Herstellung von Pasta und Frühstückzerealien eingesetzt wurde. Wäre
es uns nicht gelungen, zu verstehen, wie man Polymere unter Wassermangel lösen
und daraus Gelee bilden kann, hätten wir einige bereits investierte Millionen in
den Sand gesetzt.
Eine weitere wichtige Erfahrung konnte ich aus dieser Zeit mitnehmen: Als
Forscherin war ich es gewohnt, dass alle wichtigen Produkteigenschaften im Labor
genauestens chemisch und physikalisch analysiert werden können. Es resultieren
belastbare Zahlenwerte. Man kann Zielgrößen definieren und Prozesse danach
auslegen. Nur - mit welcher Messtechnik misst man Geschmack und Mundge-
fühl? Glauben Sie bloß nicht, dass ein Säugling etwas schluckt, das auch nur den
geringsten unbekannten Nebengeschmack hat oder nicht perfekt weich im Mund
ist! Die einzige Messtechnik für diese beiden Eigenschaften fanden wir nicht in den
wirklich gut ausgestatteten Qualitätssicherungslabors unserer Forschungszentren
und Fabriken, sondern in uns selber: Die menschlichen Sinne siegten über jedes
Messgerät. Dies bedeutete für mich auch: Während unserer Versuche in unserer
Fabrik in Brasilien gab es morgens, mittags und abends stundenlange „Degustati-
onen“ - gemeinsames Babybreiessen und Geruch, Geschmack und Mundgefühl
beschreiben. Nie hatte ich so viel Lust auf ein saftiges Steak wie nach einem sol-
chen Fabrikeinsatz! Ganz nebenbei - man nimmt gnadenlos zu als menschliches
„Analysengerät“.
Der nächste Drahtseilakt begann mit meinem Entschluss, eine Familie zu
gründen. In der französischsprachigen Schweiz waren arbeitende Mütter auch
damals schon Standard. Es gab also ein funktionierendes Kinderbetreuungssys-
tem ab der sechsten Lebenswoche. Denn gesetzlich gab es genau sechs Wochen
Mutterschutz inkl. Elternzeit. Ich verzichtete wie fast alle auf Mutterschutz und
arbeitete bis zum Tag vor der Geburt, um die sechs Wochen Zeit mit meinem Baby
auszukosten. Gleich nach der Geburt fragte ich nach Teilzeit für das erste Lebens-
jahr und erfuhr, dass das staatliche Sozialsystem zwar die Bedürfnisse von Müttern
kannte, nicht aber mein Arbeitgeber: Der erklärte mir, dass ich meine inzwischen
erhaltene Stelle als Gruppenleiterin in Teilzeit nicht wahrnehmen könne. Selbst
Projektleitung war nur in Vollzeit zu vergeben. Teilzeitkräfte müssten im Techni-
kum arbeiten.
Der Zeitpunkt war gekommen, den ursprünglichen Plan „Universität“ wie-
der anzugehen. Ich bewarb mich erfolgreich um ein DFG Habilitationsstipendium
und begann, mich auf freie Professuren zu bewerben. Bereits nach einem Jahr be-
kam ich die Stelle als Institutsleiterin für Bio- und Lebensmittelverfahrenstechnik
am heutigen Max-Rubner-Institut (MRI) mit Lehrauftrag am heutigen KIT. Dies
brachte mich zurück nach Karlsruhe und erlaubte meinem inzwischen verrenteten
Vater, mich durch Kinderbetreuung zu unterstützen. Denn Kitas oder Ganztages-
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