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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2007 — 2007

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I. Das Geschäftsjahr 2007
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Jahresfeier am 9. Juni 2007
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Wolgast, Eike: Pax optima rerum: Theorie und Praxis des Friedensschlusses in der Neuzeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.66959#0027
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40 | JAHRESFEIER

gung des Kriegszustands war mithin Ziel des Vertrags, sondern „wahrhaftige und auf-
richtige Freundschaft“ für die Folgezeit. Auch diese Formulierung stammte aus der
schwedischen Proposition. Über die Bedeutung von amicitia für den Frieden hatte
Grotius sich 1623 geäußert: „Verstöße gegen die Freundschaft brechen einen Frie-
den, der unter dieser Bedingung abgeschlossen wurde“; zu solchen Verstößen zählte
Grotius Drohungen ohne Anlaß, Bau von Festungen an der Grenze mit dem Zweck
des Angriffs, Ansammlung einer starken Truppenmacht, wenn sie erkennbar gegen
den Vertragspartner gerichtet ist.9 Als drittes Glied kam zu Frieden und Freundschaft
das Wohlverhalten, später „bonne Intelligence“ genannt, hinzu - jeder sollte des
anderen Nutzen, Ehre und Vorteil („utilitas, honor ac commodum“) fördern. Als
Konsequenz dieser drei Elemente ergab sich vertrauensvolle Nachbarschaft.
Auf die dieserart angereicherte Friedensformel folgten in Art. 2 des Vertrags
von 1648 ausführliche Bestimmungen zu Straffreiheit und Vergessen, gefaßt in die
Formulierung: „Perpetua obhvio et amnestia“ alles dessen, was seit Beginn der
Feindseligkeiten irgendwo und auf irgendeine Weise von der einen oder der ande-
ren Seite in Worten, Schriften und Taten in feindlicher Absicht geschehen war. Die
Epitheta und Bezeichnungen für diesen Sachverhalt wurden geradezu aufeinander
getürmt, um nur ja nichts zu übersehen und für nichts ein Schlupfloch zu lassen. Mit
der Amnestie wurde Strafmdulgenz für etwas gewährt, das durchaus im Bewußtsein
gegenwärtig bleiben konnte, aber nicht mehr geahndet werden durfte. Oblivio,
obwohl vom Wortsinn her mit amnestia identisch, griff tiefer: das Anstoßerregende
und Strafbare wurde durch ein Erinnerungsverbot ausgelöscht. Es wurde in gänzli-
chem Vergessen begraben („perpetua sit oblivione sepultum“). Etwaige Rechtsvor-
behalte waren damit eliminiert, und durch den Verzicht auf den Rechtsstandpunkt
wurde eine Quelle neuen Streites verstopft. Die oblivio-Formel dokumentierte den
unbedingten Willen zur Stabilisierung des Erreichten. Der Historiker des Westfäli-
schen Friedens, Fritz Dickmann, hat dieses Verhalten zutreffend „friedestiftendes Ver-
gessen“ genannt.
Mit der Vergessensformel war zugleich die Frage der Kriegsschuld umgangen.
Niemand wurde haftbar gemacht, bestraft oder moralisch diffamiert. Für die Wie-
derherstellung eines wirklichen, noch dazu als christlich apostrophierten Friedens,
der mehr sein sollte als die bloße Regelung materieller Fragen, war die Oblivion
oder wenigstens die umfassende Amnestie essentiell. Sie wurde daher 1648 mehrfach
im Text wiederholt, und auch der Personenkreis war umfassend beschrieben:
„Omnes et singuli“, sowohl Offiziere und Soldaten als auch zivile, geistliche und
weltliche Räte und Beamte, „a summo ad infimum, ab infimo ad summum“; und
auch Ehefrauen, Kinder, Erben, Nachfolger und Diener waren ausdrücklich einge-
schlossen (IPO IV § 51). Einbezogen in die Amnestie wurden auch alle Städte und
jeder ihrer Einwohner, die während des Krieges vom Gegner besetzt waren, während
der Besatzung kollaboriert hatten und jetzt ihren ursprünglichen Herren zurückge-
geben wurden (IPO XVI § 18). Die grundlegende Bedeutung der Amnestie für den

De iure belli Buch III Kap. 20 § 40.
 
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