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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2007 — 2007

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I. Das Geschäftsjahr 2007
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Sitzung der Phil.-hist. Klasse am 20. April 2007
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Leonhardt, Jürgen: Die alten Sprachen und kein Humanismus - eine historische Bildungswende des Bildungswesens im 19. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.66959#0060
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20. April 2007

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aufnahm, sondern insbesondere die Praxisausrichtung der Bildungsgegenstände
zugunsten des Prinzips einer formalen Bildung ausdrücklich ablehnte. Latein und
insbesondere Griechisch boten sich für ein solches Konzept in besonderer Weise an.
Sieht man sich die Entwicklung des 19. Jahrhunderts jedoch genauer an, reicht diese
Erklärung nicht aus. Sicherlich ist neuhumanistisches Gedankengut von den Zeiten
Wilhelm von Humboldts bis heute in bildungspolitischen Diskussionen präsent. Es
gibt jedoch etwa um 1840 eine zweite für die Alten Sprachen in Deutschland fol-
genreiche Wende im Bildungswesen gegeben, die bisher kaum gesehen und nie
systematisch untersucht wurde. Sie ist für die weitere Entwicklung des Schulwesens
in Deutschland und darüber hinaus mindestens ebenso bestimmend geworden wie
der Neuhumanismus.
Als einer von möglicherweise mehreren Wendepunkten kann eine Lehrplanre-
form im preussischen Gymnasium um 1840 gelten. Dabei wird der Anteil des
Lateinunterrichts merkwürdigerweise wieder erhöht, während das Griechische, dem
die ganze Liebe der Neuhumanisten um Humboldt gegolten hatte, Anteile verliert.
Diese Wendung ist umso unverständlicher, als die lateinische Literatur in der zwei-
ten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland gering geschätzt wurde; die vernich-
tende Kritik, die z.B. der Historiker Theodor Mommsen an Cicero geübt hatte, war
kein Einzelfall. In der Entwicklung des humanistischen Gymnasiums ist eine fast
schizophrene Entwicklung festzustellen: Man mutete den Schülern zu, nahezu die
Hälfte ihrer Arbeitsleistung in das Erlernen einer Sprache zu investieren, die sie im
Normalfall aktiv nicht brauchten und deren Literatur als minderwertig galt.
Wie konnte es zu einer solchen Entwicklung kommen? Die hier als erste, noch
versuchsweise Antwort vorgetragene Erklärung für diese Entwicklung stellt eine
Verbindung mit zwei Zeiterscheinungen her, die bisher nicht für die Geschichte des
Altsprachenunterrichts in Betracht genommen wurden.
Zum einen ist die eigentümliche Entwicklung des Altsprachenunterrichts als
Phänomen des Historismus zu interpretieren. Damit ist nicht primär der Historis-
mus als methodischer Leitbegriff der Geschichtswissenschaft gemeint, sondern der
Historismus der Architektur- und Kunstgeschichte, der im Rückgriff auf historische
Stilformen seinen Ausdruck fand. Eine ähnliche Haltung hat sich offensichtlich
auch im Bildungswesen bemerkbar gemacht. Die Lehrpläne scheinen in vielerlei
Hinsicht die Gegenwart zu ignorieren; das Erlernen historischer Kulturtechniken
und die Kenntnis historischer Fakten wird ohne direkte Funktionahsierung für
aktuelle Bedürfnisse zu einem absoluten Wert. Der im 19. Jahrhundert neu auf-
kommende Unterricht in den modernen europäischen Sprachen (einschließlich des
Deutschunterrichts) konzentriert sich auf die „Klassiker“ vergangener Jahrunderte
und überträgt die Sprach- und Literatursituation der Klassischen Philologie auf die
Gegenwartssprachen. Im Musik- und Kunstunterricht dominiert der Zugang über
historische Formen: Während Wagner und Liszt das Ende der tonalen Komposition
vorbereiten, schreibt man am Konservatorium Fugen und übt sich im strengen
polyphonen Satz des 16. Jahrhunderts. Eine ähnliche Auseinanderentwicklung
zwischen aktuellen künstlerischen Entwicklungen und Festhalten an historischen
Stilformen in den institutionalisierten Bildungsgängen gibt es auch an den Kunst-
 
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