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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2007 — 2007

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I. Das Geschäftsjahr 2007
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Gesamtsitzung am 27. Oktober 2007
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Michaels, Axel: Rituale und ihre Handbücher: Beispiele aus Nepal
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https://doi.org/10.11588/diglit.66959#0093
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SITZUNGEN

sich fragt, ob es sich überhaupt noch um Sanskrit handelt. Ohnehin sind die Ritual-
anweisungen der jüngeren Ritualhandbücher meist in modernen Sprachen verfaßt.
In Sanskrit erscheinen nur die Anfänge von Mantras und Versen. Für die spezifische
Form des Sanskrit in den Handbüchern der Newars - einer Bevölkerungsgruppe
Nepals, die Newan, eine tibeto-birmanische Sprache spricht — wurde im Vortrag die
Bezeichnung „Pseudosanskrit“ vorgeschlagen: zum einen, weil die sprachliche und
schriftliche Gestalt vielfach nur vage an korrektes Sanskrit erinnert, zum anderen,
weil die Texte zwar viele, oft sogar mehrheitlich Sanskritwörter enthalten, es sich
aber der Struktur nach nicht wirklich um Sanskrittexte handelt, da die syntaktisch
wichtigen Handlungsanweisungen entweder in Newan oder durch die Substantive
implizit gegeben sind.
Der Vortrag widmete sich darüber hinaus den Fragen, ob ein solcher Gebrauch
des Sanskrit Zeichen einer mangelnden Kompetenz und linguistischen Dekadenz ist,
eine Art Küchensanskrit, oder ob es sich um ein eigenständiges Sanskrit, vergleich-
bar dem Buddhistischen oder Jaina-Sanskrit handelt. Vertreten wurde die These, daß
die Sprache der newarischen Ritualhandbücher nicht als ein volkssprachliches oder
Umgangs-Sanskrit bezeichnet werden kann. Denn es ist weder das Sanskrit einer
geschlossenen Gemeinde, Gemeinschaft oder Schule noch em vernakularsprachli-
ches oderVulgärsanskrit oder gar ein Sanskrit-Dialekt. Es ist auch kein Sanskrit, das
im Begriff ist, sich zu einer mittelindischen Stufe zu entwickeln. Es ist im Grunde
überhaupt kein Sanskrit, weil die Texte eigentlich nur aus der Entlehnung von Sans-
kritwörtern bestehen, in ihrer syntaktischen und vor allem kontextuellen Struktur
aber Newari-Texte sind.
Die oft zu beobachtende Geringschätzung der nepalischen Ritualhandbücher
hängt viel mit dem einem Anspruch auf grammatische und sprachliche Korrektheit
und indirekt mit Macht und Prestige zusammen. Ein sprachlich unsauberer Text wird
in einem solchen Zusammenhang von den privilegierten brahmanischen Sprachver-
waltern verachtet. Dennoch kann sich gerade in diesen Texten eine lokale Praxis und
Terminologie erhalten haben, die man in anderen Texten vergeblich sucht.
Hinzu kommt, daß die Ritualhandbücher nicht das Ritual beschreiben, son-
dern Gedächtnisstützen für die jeweiligen Priester mit eigenen und eigentümlichen
Formen der Sprache und Notation von Handlungssequenzen, Ritualgegenständen
und Mantras bilden. Sie sind daher erheblich individueller, als ihr Gegenstand - das
Ritual — vermuten läßt. Sie ermöglichen auf die sich verändernden Situationen des
Rituals einzugehen. Daher bilden zumindest die privaten, nicht veröffentlichten
Ritualhandbücher ein eigenes Genre, das nur zusammen mit dem Gebrauch im
Ritual einen Sinn ergibt.
In hinduistischen Ritualen haben die brahmanischen Priester mit ihren Ritu-
alhandbüchern meist eine größere Autorität als andere Ritualspezialisten, aber nur,
wenn es um ihre Domäne, den Veda beziehungsweise das Buch, geht, nicht aber, weil
sie als Repräsentanten einer logozentrischen Dominanz von Wahrheit gelten. Die
Ritualhandbücher würden nicht zählen, wenn sie nicht in einem Kontext stünden,
bei dem andere Spezialisten und Zuschauer aktiv und passiv teilnehmen. Hier hat
man tatsächlich den vielbeschworenen „Zusammenfluß von Indologie und Anthro-
 
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