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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2007 — 2007

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I. Das Geschäftsjahr 2007
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Antrittsreden
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Asch, Ronald G.: Antrittsrede vom 27. Januar 2007
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https://doi.org/10.11588/diglit.66959#0120
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Ronald G.Asch | 133

die Devise „Larvatus prodeo“, die sich em Philosoph des 17. Jahrhunderts zum
Lebensmotto wählte.
1973 begann ich das Studium der Geschichtswissenschaften und der Lateini-
schen Philologie an der Universität Kiel. Der Anblick des Hamburger Philosophen-
turms hatte ausgereicht, um mich zu überzeugen, daß ein Studium an der heimi-
schen Universität nicht wirklich ratsam sei. Prägender als die Kieler Jahre war frei-
lich das anschließende Studium in Tübinger, wo unter anderem der Frühneuzeltler
Josef Engel zu meinen akademischen Lehrern gehörte. Engel war ein Außenseiter,
ein überzeugter Kathederanarchist konservativer Färbung, der rheinischen Kultur-
katholizismus mit einem dezidierten Antiklerikalismus verband und eine eigenwillige
Form der Sozial- und Verfassungsgeschichte vertrat, aber auch in seiner Gegnerschaft
gegen jeden geistesgeschichtlichen Idealismus dafür eintrat, den Begriff Humanismus
abzuschaffen, um ihn durch „Humanistik“ zu ersetzen. Vielleicht noch wichtiger als
die Tübinger Zeit war jedoch der anschließende einjährige Studienaufenthalt in
Cambridge, wo Geoffrey Elton mein Supervisor war. Elton war der Sohn des deut-
schen Althistorikers Victor Ehrenberg, nach der Emigration in jungen Jahren aber im
Habitus englischer als die Engländer selbst geworden, sein Neffe Ben Elton hat
immerhin wesentliche Beiträge zur Entwicklung des englischen Humors im späten
20. Jahrhundert geleistet. Der Winter 1978—79 in Cambridge war in vielem ein Wen-
depunkt in meinem Leben, mit allen zum Teil erheblichen ups and downs, die das
impliziert. Die intensiven Diskussionen mit Elton in seinen Tutorien zeigten mir
eine Form der Lehre, die ich zuvor in Deutschland nie kennengelernt hatte, auch
wenn ich erst später verstand, warum das so war und sein mußte. Elton war in den
60er Jahren ein fanatischer Verteidiger der Autonomie der Geschichtswissenschaft
gegen alle Versuche aus dieser Disziplin einen bloßen Ableger der Sozialwissenschaf-
ten zu machen. Ein englischer Freund meinte einmal zu mir, er habe damals sein
Fach fast als einziger gegen den Ansturm der Soziologie verteidigt, so wie einst
Horatius Codes auf dem pons subhcius die Freiheit Roms. Mit seinem später fast ins
Dogmatische gesteigerten Empirismus mag es Elton manchmal übertrieben haben,
aber wenn heute alle fünf Jahre ein neuer theoretischer „turn“ ausgerufen wird, so
wünscht man sich doch manchmal einen Elton, mit seiner Fähigkeit zur scharfsinni-
gen und erbarmungslosen Entlarvung rhetorischer Verkaufsstrategien und begriff-
licher Redundanzen in der Wissenschaft. Es wäre interessant zu sehen, was aus der
deutschen Exzellenzinitiative geworden wäre, mit einem Mann wie Elton als aus-
wärtigem Gutachter. Cambridge, von der Universitätsbibliothek und dem mir ver-
trauten Selwyn College bis hin zur Kirche Little St. Mary’s ist ein Fixpunkt in mei-
nem Leben und ein Zufluchtsort in Krisenzeiten geblieben, auch wenn sich in den
letzten 25 Jahren dort viel verändert hat, nicht alles zum Vorteil, von der Qualität des
Brotes das auf dem Markt verkauft wird, vielleicht einmal abgesehen.
Aus Cambridge kehrte ich nach Tübingen zurück, wo ich bei dem Nachfol-
ger Josef Engels, Volker Press, promovierte. Press leidenschaftliches Interesse für die
Geschichte des frühneuzeitlichen Adels, dessen südwestdeutsche, bayerische und
österreichische Nachfahren er oft auch aus eigener Anschauung gut kannte, hinter-
ließ bei mir einem bleibenden Eindruck, seine Liebe zum Alten Reich als Gegen-
 
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