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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2007 — 2007

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I. Das Geschäftsjahr 2007
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Antrittsreden
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Holstein, Thomas W.: Antrittsrede vom 27. Oktober 2007
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https://doi.org/10.11588/diglit.66959#0145
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158 | ANTRITTSREDEN

Biologiestudenten em Großes Zoologisches Praktikum absolvieren, in dem man sich
em ganzes Jahr lang alleine mit der vergleichenden Anatomie von Invertebraten
beschäftigte. Obwohl in dieser Ausbildung die Molekularbiologie und Genetik ent-
schieden zu kurz kam, so hatte man doch die Muße, intensiv die Vielfalt der Orga-
nismen kennen zu lernen und sich mit den grundsätzlichen Fragen der Evolution
und Entwicklung auseinanderzusetzen. Unter dem Einfluß der Wiener Schule und
des Altenberger Kreises von Konrad Lorenz promovierte ich dann bei Rupert Riedl.
Riedl hatte die Perspektive, die Evolution der Organismen nicht nur auf der „engen
Skala“ der Mikro-Evolution (d.h. der Evolution einzelner Arten und Populationen),
sondern auch auf der Ebene der Makro-Evolution mechanistisch zu verstehen. Riedl
legte in „Die Ordnung des Lebendigen“ eine Theorie vor, die erklären kann, wie so
verschiedene Bauplantypen wie die von Insekten und Vertebraten in der Evolution
entstanden sind. Damit leistete Riedl Pionierarbeit, da er die neuen Erkenntnisse der
molekularen Genetik (Operon-Konzept) mit entwicklungsbiologischen und mor-
phologischen Befunden kombinierte. Riedl war auch Meeresbiologe und an der
Zoologischen Station zu Neapel konnte ich daher in meiner Dissertation zur Evo-
lution und Ultrastruktur der Nesselkapseln und auch die reiche Fauna des Golfes
von Neapel kennenlernen. Daß dies auch ein historisch bedeutender Platz war,
konnte ich damals noch nicht wirklich würdigen. Die Station wurde 1872 als erste
marinbiologische Station von Anton Dohrn gegründet, einem engen Mitarbeiter
Ernst Haeckels, und sie war, gut von der Industrie unterstützt, noch bis in die späten
fünfziger Jahre ein Mekka für Biologen aus aller Welt, eine Rolle, die heute ver-
gleichsweise nur noch die Station von Woods Hole an der amerikanischen Ostküste
besitzt.
Das rasche Ende meiner Studentenzeit wurde eingeläutet mit einem Vortrag zu
meinem Dissertationsthema auf der 3. Internationalen Tagung zur Biologie der
Cölenteraten in Interlaken (1979). Wenige Wochen nach der Tagung erhielt ich von
Pierre Tardent, dem Organisator des Kongresses, das Angebot, zu ihm in sein Züri-
cher Labor zu kommen. Ich gab ihm meine prompte Zusage, und in wenigen
Wochen wurden mit Hilfe meiner Frau die Ergebnisse der Dissertation in die
Schreibmaschine getippt, so daß ich im Wintersemester 1980/81 an der Universität
Zürich als Kantonsassistent beginnen konnte. Zu meinen Aufgaben gehörte auch das
große Medizinerpraktikum mit mehr als 500 Studenten. Obwohl die umfangreiche
Züricher Lehre den Anfänger stark forderte, profitierte ich von Pierre Tardent unge-
mein viel. Das Medizinerpraktikum wurde z.B. von Ernst Hadorn, der wie Pierre
Tardent beim Boveri-Schüler Fritz Balzer promoviert hatte, ursprünglich für Biolo-
gen und Mediziner konzipiert. Es beinhaltete viele in vivo-Versuche zur Embryo-
logie von Seeigel, Fruchtfliege sowie Fisch und Frosch, was meine Begeisterung für
die Entwicklungsbiologie nur bestärkte.
Die Entwicklungsbiologie stand in den späten 70er Jahren nach vielen Jahren
der Agonie durch die Einbeziehungen von Ansätzen der Genetik und Molekular-
biologie vor ihrem großen Aufschwung. Für mich begann diese Phase mit meinem
Wechsel nach München zu Charles David, der zusammen mit Harry MacWilliams
hier sein Labor aufbaute. David kam von Albert Einstein College of Medicine in New
 
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