Dietrich Seckel | 189
werdende ikonographische Betrachtung von Architektur am japanischen Gegen-
stand. Günter Bandmanns magistrale Darlegung der Methode Mittelalterliche Archi-
tektur als Bedeutungsträger erschien 1951. Auch mit der „Shizutamkö“ betrat Seckel
Neuland. Es war die erste Studie in einer westlichen Sprache über den architektoni-
schen Typus „Schule“ in Japan.
Viele von Seckels Arbeiten haben Pioniercharakter. Mit Jenseits des Bildes lei-
stete er bereits früh einen Beitrag zu der viel diskutierten Frage: Was ist ein Bild?
Seme exemplarischen Studien über den aus den Bergen zurückkehrenden Buddha
und die Wurzeln der chinesischen Graphik wurden Ausgangspunkte für spätere sub-
stantielle Arbeiten seiner Schüler.
Auch mit manchen der 34 Interpretationen von 1960 öffnete Seckel der For-
schung Wege ins Neuland. Seine knappe Analyse nur eines einzigen Schriftzeichens
aus einer Kalligraphie des chinesischen Kaisers Xuanzong aus dem 8. Jh. war der
erste methodisch fundierte Zugriff eines Kunsthistorikers auf die chinesische Schrift,
dieses kaum zu überschätzende Thema der ostasiatischen Kultur. Seckel war sich des-
sen wohl bewusst. Mit den einzigen Drittmitteln, die er je eingeworben hat, ließ er
Teile eines japanischen Kompendiums zur Schriftkunst übersetzen, und 1970
begründete er die Schriftenreihe Studien zur ostasiatischen Schriftkunst.
Em anderes Gebiet, das Seckel der kunsthistorischen Wissenschaft erschloss, ist
das ostasiatische Porträt. Zwei Studien über Porträts finden sich bereits in den 34
Interpretationen. Ich erinnere mich, dass Seckel in den 1960er Jahren in der Vorle-
sung eine berühmte Holzstatue des japanischen Bildhauers Unkei von 1208 zeigte.
Sie stellt einen buddhistischen Patriarchen (oder Kirchenvater, wie Seckel ihn apo-
strophierte) aus dem 4. oder 5. Jh., der Blütezeit des Buddhismus in Indien, dar, näm-
lich Asanga, auf japanisch Muchaku. Seckel sagte, in dieser Statue habe das Men-
schenbild Ostasiens Gestalt gewonnen, aber er sei noch nicht in der Lage, darüber
adäquat zu sprechen. „Vielleicht wenn ich einmal achtzig bin...,“ fügte er hinzu.
Als er dann achtzig war, arbeitete er in der Tat an seiner großen Trilogie über
ostasiatische Porträts.4 Der dritte Band erschien zu seinem 95. Geburtstag am
6. August 2005. In diesen Bänden ist mehrfach von der Statue des Muchaku die
Rede. Seckel führt sie an als das Paradigma eines Idealporträts, welches zugleich em
Realporträt sein kann, d.h. also die idealisierende Darstellung einer Figur aus einer
vergangenen Epoche, wobei aber durchaus der reale Charakterkopf eines Zeitgenos-
sen als Modell gedient haben mag.
Das Porträt in Ostasien. 3 Bde. Heidelberg: Akademie der Wissenschaften, 1997—2005.
werdende ikonographische Betrachtung von Architektur am japanischen Gegen-
stand. Günter Bandmanns magistrale Darlegung der Methode Mittelalterliche Archi-
tektur als Bedeutungsträger erschien 1951. Auch mit der „Shizutamkö“ betrat Seckel
Neuland. Es war die erste Studie in einer westlichen Sprache über den architektoni-
schen Typus „Schule“ in Japan.
Viele von Seckels Arbeiten haben Pioniercharakter. Mit Jenseits des Bildes lei-
stete er bereits früh einen Beitrag zu der viel diskutierten Frage: Was ist ein Bild?
Seme exemplarischen Studien über den aus den Bergen zurückkehrenden Buddha
und die Wurzeln der chinesischen Graphik wurden Ausgangspunkte für spätere sub-
stantielle Arbeiten seiner Schüler.
Auch mit manchen der 34 Interpretationen von 1960 öffnete Seckel der For-
schung Wege ins Neuland. Seine knappe Analyse nur eines einzigen Schriftzeichens
aus einer Kalligraphie des chinesischen Kaisers Xuanzong aus dem 8. Jh. war der
erste methodisch fundierte Zugriff eines Kunsthistorikers auf die chinesische Schrift,
dieses kaum zu überschätzende Thema der ostasiatischen Kultur. Seckel war sich des-
sen wohl bewusst. Mit den einzigen Drittmitteln, die er je eingeworben hat, ließ er
Teile eines japanischen Kompendiums zur Schriftkunst übersetzen, und 1970
begründete er die Schriftenreihe Studien zur ostasiatischen Schriftkunst.
Em anderes Gebiet, das Seckel der kunsthistorischen Wissenschaft erschloss, ist
das ostasiatische Porträt. Zwei Studien über Porträts finden sich bereits in den 34
Interpretationen. Ich erinnere mich, dass Seckel in den 1960er Jahren in der Vorle-
sung eine berühmte Holzstatue des japanischen Bildhauers Unkei von 1208 zeigte.
Sie stellt einen buddhistischen Patriarchen (oder Kirchenvater, wie Seckel ihn apo-
strophierte) aus dem 4. oder 5. Jh., der Blütezeit des Buddhismus in Indien, dar, näm-
lich Asanga, auf japanisch Muchaku. Seckel sagte, in dieser Statue habe das Men-
schenbild Ostasiens Gestalt gewonnen, aber er sei noch nicht in der Lage, darüber
adäquat zu sprechen. „Vielleicht wenn ich einmal achtzig bin...,“ fügte er hinzu.
Als er dann achtzig war, arbeitete er in der Tat an seiner großen Trilogie über
ostasiatische Porträts.4 Der dritte Band erschien zu seinem 95. Geburtstag am
6. August 2005. In diesen Bänden ist mehrfach von der Statue des Muchaku die
Rede. Seckel führt sie an als das Paradigma eines Idealporträts, welches zugleich em
Realporträt sein kann, d.h. also die idealisierende Darstellung einer Figur aus einer
vergangenen Epoche, wobei aber durchaus der reale Charakterkopf eines Zeitgenos-
sen als Modell gedient haben mag.
Das Porträt in Ostasien. 3 Bde. Heidelberg: Akademie der Wissenschaften, 1997—2005.