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NACHRUFE
Heidelberg reifen. Erwin Walter Palm, Seckels engster Kollege und Freund im Kunst-
historischen Institut, veranstaltete interdisziplinäre Kolloquien über Archaismus und
über die Stadt in den Weltkulturen, und Seckel selbst versuchte, auf den deutschen
Kunsthistorikertagen eine Sektion „außereuropäische Kunst“ einzurichten. Es war
für ihn enttäuschend, dass sein Werben für eine Horizonterweiterung über Klein-
europa hinaus, wie er es nannte, bei der etablierten akademischen Kunstgeschichte
in Deutschland auf nur wenig Gegenliebe stieß.
Seckel verfasste damals zwei weitere Arbeiten, die ihren Gegenstand weitaus-
holend, sozusagen aus der Vogelperspektive in den Blick nahmen. In seiner Mono-
graphie Jenseits des Bildes arbeitete er die anikonische Darstellungsweise als durchge-
hendes Prinzip der buddhistischen Kunst heraus, von ihren Anfängen in Indien,
wo in figurenreichen narrativen Szenen die Gestalt des Buddha selbst oft gar nicht
dargestellt ist, da er seinem Wesen nach eben nicht darstellbar ist, bis hm zu den
Chiffren und Zeichen, die in der späten japanischen Kunst des Zen-Buddhismus den
Buddha symbolisieren. Die Abhandlung erschien vor kurzem auch in englischer
Übersetzung.3
In der Studie mit dem Titel „Die Wurzeln der chinesischen Graphik“ demon-
strierte Seckel 1966, dass die erfolgreiche Lösung bestimmter technischer Probleme
im archaischen chinesischen Bronzeguss um 1000 v. Chr., wie die Seitenverkehrung
eines rechteckigen Dekorfeldes in der Gussform, oder die radikale Reduktion des
Dekors aut Intaglio und Relief, Schritte waren auf einem Weg zu einer der größ-
ten Erfindungen in der Geschichte der Menschheit, dem Druck von Schrift auf
Papier.
Zu den Arbeiten des zweiten Typs, also den monographischen Behandlungen
einzelner Werke, gehörte auch der Aufsatz von 1965 über ein berühmtes Bild des
chinesischen Malers Liang Kai (um 1204), welches den historischen Buddha Säkya-
muni zeigt, wie er nach sechsjähriger Askese aus den Bergen in die Welt zurück-
kehrt, um dort seine Lehre zu verkünden. Dabei ging es um die Frage, ob der
Buddha zu diesem Zeitpunkt bereits die Erleuchtung erreicht hatte. Laut den
hagiographischen Texten war das nicht so. Jedoch in einer nachgerade spitzfindigen
ikonographischen Analyse, abgestützt durch philologische Argumente und im Blick
auf die kultische Funktion des Bildtyps konnte Seckel nachweisen, dass in der Bild-
tradition im Gegensatz zur Texttradition in der Tat der erleuchtete Buddha gemeint
ist.
Eine weitere monographische Studie war die Arbeit von 1973 über die Shizu-
tanikö, eine japanische Schulanlage des 17. Jh. Damit begab sich Seckel wieder auf
das Feld der Architektur, in dem er schon in Japan gearbeitet hatte. In seiner unver-
öffentlichten Habilitationsschrift von 1948 hatte er einen einzelnen Bau ins Zen-
trum gestellt, die Phönixhalle in Uji von 1052. Indem er diese als gebautes Paradies
des Buddha Amida interpretierte, erprobte er die damals in Deutschland modern
3 Before and beyond the image: Aniconic symbolism in Buddhist art. Artibus Asiae supplementum 45,
2004.
NACHRUFE
Heidelberg reifen. Erwin Walter Palm, Seckels engster Kollege und Freund im Kunst-
historischen Institut, veranstaltete interdisziplinäre Kolloquien über Archaismus und
über die Stadt in den Weltkulturen, und Seckel selbst versuchte, auf den deutschen
Kunsthistorikertagen eine Sektion „außereuropäische Kunst“ einzurichten. Es war
für ihn enttäuschend, dass sein Werben für eine Horizonterweiterung über Klein-
europa hinaus, wie er es nannte, bei der etablierten akademischen Kunstgeschichte
in Deutschland auf nur wenig Gegenliebe stieß.
Seckel verfasste damals zwei weitere Arbeiten, die ihren Gegenstand weitaus-
holend, sozusagen aus der Vogelperspektive in den Blick nahmen. In seiner Mono-
graphie Jenseits des Bildes arbeitete er die anikonische Darstellungsweise als durchge-
hendes Prinzip der buddhistischen Kunst heraus, von ihren Anfängen in Indien,
wo in figurenreichen narrativen Szenen die Gestalt des Buddha selbst oft gar nicht
dargestellt ist, da er seinem Wesen nach eben nicht darstellbar ist, bis hm zu den
Chiffren und Zeichen, die in der späten japanischen Kunst des Zen-Buddhismus den
Buddha symbolisieren. Die Abhandlung erschien vor kurzem auch in englischer
Übersetzung.3
In der Studie mit dem Titel „Die Wurzeln der chinesischen Graphik“ demon-
strierte Seckel 1966, dass die erfolgreiche Lösung bestimmter technischer Probleme
im archaischen chinesischen Bronzeguss um 1000 v. Chr., wie die Seitenverkehrung
eines rechteckigen Dekorfeldes in der Gussform, oder die radikale Reduktion des
Dekors aut Intaglio und Relief, Schritte waren auf einem Weg zu einer der größ-
ten Erfindungen in der Geschichte der Menschheit, dem Druck von Schrift auf
Papier.
Zu den Arbeiten des zweiten Typs, also den monographischen Behandlungen
einzelner Werke, gehörte auch der Aufsatz von 1965 über ein berühmtes Bild des
chinesischen Malers Liang Kai (um 1204), welches den historischen Buddha Säkya-
muni zeigt, wie er nach sechsjähriger Askese aus den Bergen in die Welt zurück-
kehrt, um dort seine Lehre zu verkünden. Dabei ging es um die Frage, ob der
Buddha zu diesem Zeitpunkt bereits die Erleuchtung erreicht hatte. Laut den
hagiographischen Texten war das nicht so. Jedoch in einer nachgerade spitzfindigen
ikonographischen Analyse, abgestützt durch philologische Argumente und im Blick
auf die kultische Funktion des Bildtyps konnte Seckel nachweisen, dass in der Bild-
tradition im Gegensatz zur Texttradition in der Tat der erleuchtete Buddha gemeint
ist.
Eine weitere monographische Studie war die Arbeit von 1973 über die Shizu-
tanikö, eine japanische Schulanlage des 17. Jh. Damit begab sich Seckel wieder auf
das Feld der Architektur, in dem er schon in Japan gearbeitet hatte. In seiner unver-
öffentlichten Habilitationsschrift von 1948 hatte er einen einzelnen Bau ins Zen-
trum gestellt, die Phönixhalle in Uji von 1052. Indem er diese als gebautes Paradies
des Buddha Amida interpretierte, erprobte er die damals in Deutschland modern
3 Before and beyond the image: Aniconic symbolism in Buddhist art. Artibus Asiae supplementum 45,
2004.