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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2007 — 2007

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III. Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses
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B. Das WIN-Kolleg
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3. Forschungsschwerpunkt "Der menschliche Lebenszyklus - biologische, gesellschaftliche, kulturelle Aspekte"
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https://doi.org/10.11588/diglit.66959#0314
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Das WIN-Kolleg | 327

Der Begriff Neuroplastizität kennzeichnet die Fähigkeit des menschlichen
Gehirns zu struktureller und funktioneller Veränderung aufgrund von Lernen und
Erfahrung. Entgegen früherer Annahmen ist dies nicht nur bis zum Abschluss der
Hirnreifung mit der Adoleszenz möglich, sondern auch beim erwachsenen Gehirn.
Neuroplastizität fuhrt zu positiven oder negativen Veränderungen im Gehirn, d.h.
abhängig von den äußeren Umständen kann sich die Hirnfunktion durch Plasti-
zitätsprozesse verbessern oder verschlechtern. Für die negative Neuroplastizität und
den damit verbundenen Funktionsabbau bei älteren Menschen werden mehrere
Faktoren, wie verminderte Nutzung der geistigen Fähigkeiten („brain disuse“), ver-
schlechtertes Signal-Rausch-Verhältnis, geschwächte neuromodulatorische Kontrolle
und negatives Lernen verantwortlich gemacht. Diese Hauptfaktoren interagieren
und erzeugen im Verlauf des Alterns eine sich selbst verstärkende Abwärtsspirale von
verringerten kognitiven Fähigkeiten.
Diese neue Sichtweise des „normalen“ Alterungsprozesses impliziert, dass der
kognitive Abbau nicht unvermeidbar und irreversibel ist, sondern durch Verhaltens-
training auf der Grundlage der positiven Neuroplastizität verzögert oder vermieden,
eventuell sogar rückgängig gemacht werden kann. Ein solches plastizitätsbasiertes
Training in der auditorischen Modalität wurde bereits bei gesunden älteren Men-
schen mit Erfolg durchgeführt. Es führte zur Verbesserung trainierter Funktionen
und zu einem Generalisationseffekt auf nicht-trainierte kognitive Funktionen, der
auch im Follow-up stabil blieb. Es ist zu erwarten, dass em solches Training auch bei
bereits bestehenden Beeinträchtigungen in einem späteren Stadium des Alterungs-
prozesses sowie bei pathologischen Alterungsprozessen wie zum Beispiel MCI oder
AD wirksam sein kann.
Funktionelle Bildgebung mittels Magnetenzephalographie (MEG) stellt eine
Möglichkeit dar,Veränderungen im alternden Gehirn zu untersuchen. Drei Paradig-
men bieten sich hierfür besonders an: abnormale langsame Wellen (Abnormal Siow
Waves, ASWA), Mismatch Negativity (MMN) und Transverse Patternmg (TP)-Auf-
gaben. In Vorarbeiten der Arbeitsgruppe Kolassa erwiesen sich abnormale Dichten
von Generatoren langsamer Wellen im 1-4 Hz-Bereich (Delta-Well en, ASWA) als
Indikatoren für pathologische Veränderungen verschiedener Hirnbereiche aufgrund
von Stress oder AD. Die so genannte Mismatch- (Abweichungs-) Negativität
(MMN) im EEG oder das Mismatch Field (MMF) im MEG tritt auf, wenn Reize
innerhalb einer Reizsequenz mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit hinsichtlich
physikalischer Parameter abweichen, auch wenn die Person ihre Aufmerksamkeit
nicht auf die Reizsequenz richtet. Die MMN signalisiert somit die automatische
Diskrimination physikalischer Reizparameter; sie lässt sich zuverlässig durch sprach-
liche (Silben, Vokale) und nicht-sprachliche (Tonhöhen, -längen) Reize und Abwei-
chungen in Reizdauer und -abstand induzieren. Bei älteren Personen ist die MMN
auf abweichende Reizdauer bei kurzem Reizabstand sowie auf abweichende Reiz-
frequenz bei längerem Interstimulus-Intervall reduziert. Dieser Kennwert ist somit
geeignet, um alterskorrelierte prä-attentiv-automatische Diskrimination von Ton-
sequenzen und Silben in kortikalen Hör- und Sprachsystemen sowie trainings-
bedingte Veränderungen in dieser Repräsentation zu untersuchen. Die Transverse
 
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