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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2018 — 2019

DOI Kapitel:
A. Das akademische Jahr 2018
DOI Kapitel:
I. Jahresfeier am 9.Juni 2018
DOI Artikel:
Grebel, Eva K.: Galaktische Archäologie
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.55650#0034
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I. Jahresfeier am 9. Juni 2018

Milchstraße zerrissenen kleineren Zwerggalaxien stammen. Werden solche Sa-
tellitengalaxien akkretiert, werden sie nach und nach durch die Schwerkraft der
massereicheren Galaxie auseinandergezogen. Entlang der Bahn des Objekts bilden
sich langgezogene Sternströme aus herausgerissenem Material. Die Zwerggalaxien
werden zu Bausteinen der größeren Galaxie und lösen sich auf. Tatsächlich hat
man in der Milchstraße mittlerweile eine große Zahl solcher Sternstromüberreste
von zerrissenen kleineren Galaxien gefunden - Hinweise auf das Phänomen des
„galaktischen Kannibalismus“. Die Sterne in diesen Strömen erlauben cs uns, die
Anzahl, Art und Zeitpunkte vergangener Verschmelzungsprozesse zu bestimmen.
Es zeigt sich, dass die meisten dieser Ereignisse vor vielen Milliarden Jahren statt-
fanden.
Vor etwa 25 Jahren wurde erstmals ein Akkretionsereignis in der Milchstraße
entdeckt: die Sternströme der Sagittarius-Zwerggalaxie, die mit der Milchstraße
verschmilzt und dabei auch mehrere Kugelsternhaufen beiträgt. Die Sternströ-
me von Sagittarius wurden inzwischen über den gesamten Himmel verfolgt und
stechen hervor durch ihre erhöhte Sterndichte, eine andere chemische Zusam-
mensetzung (weniger schwere Elemente) und durch die gemeinsame Bewegungs-
richtung ihrer Sterne, die vom Rest der Milchstraßensterne abweicht.
Mittels der Gaia-Satellitenmission wurde kürzlich eine große Zahl von Ster-
nen entdeckt, die sich entgegen der Bewegungsrichtung der Mehrzahl der Sterne
in der Milchstraßenscheibe und unter einem gewissen Neigungswinkel zur Schei-
be bewegen. Diese Sterne haben einen deutlich niedrigeren Gehalt an schwere-
ren Elementen und stammen aus einer zerstörten Galaxie, die „Gaia-Enceladus“
getauft wurde. Gaia-Enceladus hatte zum Zeitpunkt ihrer Verschmelzung mit der
Milchstraße vor mehr als acht Milliarden Jahren ein Viertel der Masse der jungen
Milchstraße und könnte der Auslöser für die Bildung der dicken Scheibe gewesen
sein. In den kommenden Jahren werden wir durch die wachsende Menge von
Gaia-Daten möglicherweise weitere derartige Ereignisse entdecken und ein detail-
reiches Bild der Entwicklungsgeschichte der Milchstraße erhalten.
Wie alle massereichen Galaxien ist auch die Milchstraße ist von einer hohen
Zahl von kleineren Zwerggalaxien umgeben, von denen etliche wohl in der Zu-
kunft mit ihr verschmelzen werden. Die hierarchische Strukturbildung ist noch
lange nicht abgeschlossen. In den letzten Jahren hat sich übrigens die Zahl der mitt-
lerweile identifizierten Zwerggalaxien in unserer lokalen Galaxiengruppe mehr als
verdreifacht. Die neu entdeckten Zwerggalaxien sind fast alle extrem lichtschwach,
enthalten nur wenige Sterne (und kein Gas oder Staub) sowie einen hohen Anteil
an dunkler Materie. Die Analyse ihrer Sterne zeigt, dass sie uralt und nur wenig
mit schwereren Elementen angereichert sind. Diese Galaxien sind Überlebende
aus den Frühphasen der Galaxienentstehung und Beispiele für die kleinen Baustei-
ne, die von massereichen Galaxien akkretiert wurden und werden.

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