Heidelberger Akademievorlesung
Abb. 4 Andrea Mantegna: Occasio e Poenitentia. Um
1500, abgenommenes Fresco, 168 X 146 cm. Museo della
Cittä, Palazzo San Sebastiano, Man tua. - Ein junger
Mann will die Occasio, die vorübereilende Gelegenheit
erhaschen. Occasio ist eine Figuration der Fortuna. Unstet
und mobil auf der Kugel, zusätzlich, wie Hermes, mit
Fußflügeln ausgestattet, rafft sie im schnellen Lauf ihr Kleid
und dreht sich, fast schon vorüber, dem jungen Mann noch
zu: Sie trägt auf dem vorderen Oberhaupt Haare, die ihr ins
Gesicht fallen, so dass sie, wie alle aufblitzenden Gelegenhei-
ten, nur schwer zu erkennen ist. Spätestens jetzt muss man
sie,beim Schopfe packen1. Denn am Hinterhaupt ist sie kahl
und man wird die Flüchtige nicht fassen können. Es geht
um den Augenblick, den Kairos. Bei Mantegna wird der
Jüngling von der Poenitentia zurückgehalten, die auf einem
festen Quader postiert ist: der Occasio nachjagend, würde der
Jüngling nur bereuen und büßen.
aber wurde das Angst und Neugier erweckende Meer zum Raum menschlicher
Fertigkeiten, die halfen, die unberechenbare Fortuna durch kalkuliertes Risikohan-
deln zu besiegen und die Welt, gerade indem sie als zufällig angesehen wurde, in die
Verfügung des Menschen zu bringen: Das war ein Motor des Fortschritts.
Die Formel „Multi pertransibunt et augebitur scientia“ aus Daniel 12,4 ist die
Subscriptio auf dem Frontispiz des Novum organum scientiarum (1620) von Francis
Bacon. (Abb. 5)
Abb. 5 Francis Bacon: Instauratio Magna. 1620. Titel-
kupfer. (Motto: „Multipertransibunt &augebiturscientia“
Viele werden sie [= die Grenze] überschreiten und die
Wissenschaft wird dabei wachsen [Zitat von Daniel 12,4:
Plurimi pertransibunt, et multiplex errit scientia])
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Abb. 4 Andrea Mantegna: Occasio e Poenitentia. Um
1500, abgenommenes Fresco, 168 X 146 cm. Museo della
Cittä, Palazzo San Sebastiano, Man tua. - Ein junger
Mann will die Occasio, die vorübereilende Gelegenheit
erhaschen. Occasio ist eine Figuration der Fortuna. Unstet
und mobil auf der Kugel, zusätzlich, wie Hermes, mit
Fußflügeln ausgestattet, rafft sie im schnellen Lauf ihr Kleid
und dreht sich, fast schon vorüber, dem jungen Mann noch
zu: Sie trägt auf dem vorderen Oberhaupt Haare, die ihr ins
Gesicht fallen, so dass sie, wie alle aufblitzenden Gelegenhei-
ten, nur schwer zu erkennen ist. Spätestens jetzt muss man
sie,beim Schopfe packen1. Denn am Hinterhaupt ist sie kahl
und man wird die Flüchtige nicht fassen können. Es geht
um den Augenblick, den Kairos. Bei Mantegna wird der
Jüngling von der Poenitentia zurückgehalten, die auf einem
festen Quader postiert ist: der Occasio nachjagend, würde der
Jüngling nur bereuen und büßen.
aber wurde das Angst und Neugier erweckende Meer zum Raum menschlicher
Fertigkeiten, die halfen, die unberechenbare Fortuna durch kalkuliertes Risikohan-
deln zu besiegen und die Welt, gerade indem sie als zufällig angesehen wurde, in die
Verfügung des Menschen zu bringen: Das war ein Motor des Fortschritts.
Die Formel „Multi pertransibunt et augebitur scientia“ aus Daniel 12,4 ist die
Subscriptio auf dem Frontispiz des Novum organum scientiarum (1620) von Francis
Bacon. (Abb. 5)
Abb. 5 Francis Bacon: Instauratio Magna. 1620. Titel-
kupfer. (Motto: „Multipertransibunt &augebiturscientia“
Viele werden sie [= die Grenze] überschreiten und die
Wissenschaft wird dabei wachsen [Zitat von Daniel 12,4:
Plurimi pertransibunt, et multiplex errit scientia])
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