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JAHRESFEIER
Aus den überlieferten Quellen wissen wir häufig viel über die Genese der
Friedensbestimmungen, aber - wenigstens für die frühe Neuzeit - wenig über die
Textkonzipienten, die den Wortlaut formulierten und für die Beachtung oder auch
Ausschließung tradierter Wendungen sorgten. Es hat, soweit zu sehen, niemals ein
Vademecum zur „ars pacem faciendi“ gegeben wie seit der Antike zur „ars amato-
ria“ oder im Spätmittelalter zur „ars moriendi“. Vermutlich war der Abnehmerkreis
zu gering. Im 18. Jahrhundert wurden dann die ersten großen Textsammlungen
gedruckt, aus denen sich Konzipienten für die Gestaltung des Vertragsgerüstes bedie-
nen konnten. Die Unterhändler Maria Theresias und Friedrichs des Großen wußten
also 1763, wie man einen ordentlichen Friedensvertrag aufsetzte.
Die Entwürfe zur Friedenswahrung, wie sie von der „Querela pacis undique
gentium eiectae profligataeque“ des Erasmus (1516 gedruckt) bis zu Kants „Zum
ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf1 (1795 erschienen) und darüber hin-
aus immer wieder vorgelegt wurden, boten keine Handreichung für den Friedens-
schluß, sondern dienten der Kriegsverhinderung und -einhegung sowie der Siche-
rung eines dauerhaften Friedenszustandes, zumeist durch Gesandtenkongresse und
Schiedsgerichte; sie beschäftigten sich aber nicht mit der Spanne dazwischen: der
Kriegsbeendigung und der Wiederherstellung des Friedens. Auch Grotius widmete
sich in seinem 1623 erschienenen Werk nahezu ausschließlich dem „ius belli“ und
behandelte das „ius pacis“ nur sehr am Rande und ohne Hinweis auf seine prakti-
sche Umsetzbarkeit.4 Eine Theorie des Friedensschlusses ist offensichtlich in der
frühen Neuzeit nicht entwickelt worden. Es wird daher im Folgenden denn auch
vorwiegend um die Praxis gehen.
Ich gehe vom Westfälischen Frieden als dem ersten großen Vertragswerk der
Neuzeit aus und verfolge die Genese seiner Normen und Strukturelemente zurück
zu früheren Verträgen. In einem zweiten Abschnitt werden die Friedensschlüsse des
Zeitalters des Absolutismus analysiert — mit dem Sonderfall des Osmanischen Rei-
ches. Ein dritter kurzer Abschnitt widmet sich den Friedensverträgen zwischen Fran-
zösischer Revolution und Zusammenbruch des napoleonischen Imperialsystems,
während die Friedensverträge des 19. und 20. Jahrhunderts im vierten und fünften
Abschnitt erörtert werden — immer unter der Frage von Konstanz und Varianz der
tragenden Rahmenelemente eines Vertrags.
1. Der Westfälische Frieden und das Friedenssystem von 1645 bis 1661
„Pax optima rerum“ war die Devise einer von der Stadt Münster 1648 geprägten
Silbermedaille. Die Maxime stammte von Silius Italicus (f 100 n. Chr.) — ihre Benut-
zung läßt auch die Nachlebenden noch die ungeheure Erleichterung spüren, die das
4 De iure belli et pacis Buch III Kap. 20 und 25. Zu den „Normenbüchern“ für Gesandte vgl.
zusammenfassend Heinz Schilling, Konfessionalisierung und Staatsinteressen. Internationale Bezie-
hungen 1559-1660 (= Handbuch der Geschichte der internationalen Beziehungen Bd. 2), Pader-
born usw. 2007, S. 131f.
JAHRESFEIER
Aus den überlieferten Quellen wissen wir häufig viel über die Genese der
Friedensbestimmungen, aber - wenigstens für die frühe Neuzeit - wenig über die
Textkonzipienten, die den Wortlaut formulierten und für die Beachtung oder auch
Ausschließung tradierter Wendungen sorgten. Es hat, soweit zu sehen, niemals ein
Vademecum zur „ars pacem faciendi“ gegeben wie seit der Antike zur „ars amato-
ria“ oder im Spätmittelalter zur „ars moriendi“. Vermutlich war der Abnehmerkreis
zu gering. Im 18. Jahrhundert wurden dann die ersten großen Textsammlungen
gedruckt, aus denen sich Konzipienten für die Gestaltung des Vertragsgerüstes bedie-
nen konnten. Die Unterhändler Maria Theresias und Friedrichs des Großen wußten
also 1763, wie man einen ordentlichen Friedensvertrag aufsetzte.
Die Entwürfe zur Friedenswahrung, wie sie von der „Querela pacis undique
gentium eiectae profligataeque“ des Erasmus (1516 gedruckt) bis zu Kants „Zum
ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf1 (1795 erschienen) und darüber hin-
aus immer wieder vorgelegt wurden, boten keine Handreichung für den Friedens-
schluß, sondern dienten der Kriegsverhinderung und -einhegung sowie der Siche-
rung eines dauerhaften Friedenszustandes, zumeist durch Gesandtenkongresse und
Schiedsgerichte; sie beschäftigten sich aber nicht mit der Spanne dazwischen: der
Kriegsbeendigung und der Wiederherstellung des Friedens. Auch Grotius widmete
sich in seinem 1623 erschienenen Werk nahezu ausschließlich dem „ius belli“ und
behandelte das „ius pacis“ nur sehr am Rande und ohne Hinweis auf seine prakti-
sche Umsetzbarkeit.4 Eine Theorie des Friedensschlusses ist offensichtlich in der
frühen Neuzeit nicht entwickelt worden. Es wird daher im Folgenden denn auch
vorwiegend um die Praxis gehen.
Ich gehe vom Westfälischen Frieden als dem ersten großen Vertragswerk der
Neuzeit aus und verfolge die Genese seiner Normen und Strukturelemente zurück
zu früheren Verträgen. In einem zweiten Abschnitt werden die Friedensschlüsse des
Zeitalters des Absolutismus analysiert — mit dem Sonderfall des Osmanischen Rei-
ches. Ein dritter kurzer Abschnitt widmet sich den Friedensverträgen zwischen Fran-
zösischer Revolution und Zusammenbruch des napoleonischen Imperialsystems,
während die Friedensverträge des 19. und 20. Jahrhunderts im vierten und fünften
Abschnitt erörtert werden — immer unter der Frage von Konstanz und Varianz der
tragenden Rahmenelemente eines Vertrags.
1. Der Westfälische Frieden und das Friedenssystem von 1645 bis 1661
„Pax optima rerum“ war die Devise einer von der Stadt Münster 1648 geprägten
Silbermedaille. Die Maxime stammte von Silius Italicus (f 100 n. Chr.) — ihre Benut-
zung läßt auch die Nachlebenden noch die ungeheure Erleichterung spüren, die das
4 De iure belli et pacis Buch III Kap. 20 und 25. Zu den „Normenbüchern“ für Gesandte vgl.
zusammenfassend Heinz Schilling, Konfessionalisierung und Staatsinteressen. Internationale Bezie-
hungen 1559-1660 (= Handbuch der Geschichte der internationalen Beziehungen Bd. 2), Pader-
born usw. 2007, S. 131f.