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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2007 — 2007

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I. Das Geschäftsjahr 2007
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Sitzung der Math.-nat. Klasse am 26. Januar 2007
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Wölfle, Peter: Das Ganze ist mehr als seine Teile: Elektronen in Festkörpern reduzierter Dimension
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https://doi.org/10.11588/diglit.66959#0053
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SITZUNGEN

zu einer Bose-Einstein-Kondensation der Cooperpaare in einen quantenkohärenten
Zustand fuhrt. Ordnungszustände wie Ferromagnetismus und Supraleitung werden
durch eine entsprechende Wechselwirkung zwischen den Landau-Quasiteilchen
unterhalb einer bestimmten kritischen Temperatur hervorgerufen. Bei höheren Tem-
peraturen sorgt der Gewinn an Entropie für die Zerstörung der Ordnung. Man
spricht dabei von „spontan gebrochener Symmetrie“, denn der geordnete Zustand,
z.B. im Ferromagneten, ist nicht mehr invariant unter Drehungen im Spinraum
(dabei würde man umgangssprachlich einen geordneten Zustand für den symmetri-
schen halten!).
Die Art und Stärke der Ordnung lässt sich durch einen Ordnungsparameter
beschreiben. Der Ordnungsparameter ist im Gleichgewicht i.a. räumlich homogen
und zeitlich konstant und stellt eine Art elastisches Medium dar. Dieses kann durch
äußere Felder angeregt räumlich und zeitlich variieren. Es gibt zwei Klassen von
Anregungen des Ordnungsparameterfelds: (i) kollektive Schwingungen oder Wel-
len, (ii) Defekte, also räumlich begrenzte Gebiete, in denen der Ordnungsparame-
ter stark gestört ist. Bei den kollektiven Moden kann man zwei Typen unterschei-
den: solche, die darauf zurückgehen, dass der Grundzustand bezüglich einer konti-
nuierlichen Symmetrie (z.B. Rotation) entartet ist (die „Goldstone-Moden“) und
deren Energie deshalb im Grenzfall langer Wellenlängen gegen Null geht, und sol-
che, die man am besten als Vibration der inneren Struktur des Ordnungsparameters
auffasst, mit einer endlichen Anregungsenergie im Limes langer Wellen („massive
Moden“). Das vielleicht schönste Beispiel für das Auftreten massiver kollektiver
Moden findet man bei den suprafluiden Phasen des flüssigen Helium 3. In dieser
Quantenflüssigkeit bilden die fermionischen Atome Cooperpaare wie die Elektro-
nen im Supraleiter, aber in einem anisotropen Zustand mit Bahndrehimpuls L=1
und Spin S=l. Die Cooperpaare besitzen also innere Struktur, die in der A-Phase
durch ein orthogonales Dreibein von Vorzugsrichtungen gekennzeichnet ist. Zwei
Typen von Schwingungen dieser Struktur sind möglich und können durch Ultra-
schallwellen angeregt werden, was zu ausgeprägten Maxima in der Schallabsorpti-
on als Funktion der Temperatur führt. Die Klassifizierung dieser Moden hat
wesentlich zur Identifizierung der Ordnungsparameterstruktur in den A- und B-
Phasen von suprafluidem Helium 3 beigetragen. Man könnte denken, dass die
Cooperpaare eben eine Art Molekül darstellen, was ja nicht weiter ungewöhnlich
wäre. Das neue hier ist, dass alle Cooperpaare in der Flüssigkeit gleich ausgerichtet
sind und einen quantenkohärenten Zustand bilden: „Das Ganze ist mehr als seine
Teile“.
Das bis hier skizzierte Begriffsgebäude für die Beschreibung des Elektronen-
systems in Festkörpern oder allgemeiner von Fermionen in kondensierter Materie
(flüssiges Helium 3, Nukleonen im Atomkern, Neutronen im Neutronenstern) ist
sozusagen das „Standardmodell“der Theorie der kondensierten Materie. Ausgehend
von den Einteilchenanregungen und deren effektiver Wechselwirkung wird nach
geordneten Phasen mit spontaner Symmetriebrechung gesucht, in denen auf Grund
der vorliegenden Ordnung neue fermionische und bosonische Anregungen existie-
ren. Diese sind dann für die physikalischen Eigenschaften verantwortlich.
 
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