292 | FÖRDERUNG DES WISSENSCHAFTLICHEN NACHWUCHSES
stiger Solldarleistungen gelangen können soll, ist manchmal territorialer, manchmal
auch nicht territorialer Art gewesen und hat subnationale, nationale und auch über-
nationale Räume eingeschlossen. Auch zeigt sich, dass Solidarität freiwillig und ver-
pflichtend organisiert sein kann, in Finanztransfers ebenso wie in der Eröffnung von
Gelegenheiten und im Tun ebenso wie im Unterlassen geübt werden kann, zwischen
Einzelnen, Gruppen, Staaten und internationalen Organisationen bestehen kann
usw. Organisierte Solidarität hat sich auch historisch längst nicht in Transferzahlun-
gen eines Nationalstaats an seine Angehörigen erschöpft.
Nicht zuletzt steht die Absicherung binnenstaatlicher Solidarsysteme durch
übernationale Gemeinschaftsbildung auch am Anfang der europäischen Integration.
Das Europa der Kohle- und Stahlgemeinschaft und des Gemeinsamen Marktes
erlaubte es den westeuropäischen Staaten in den 1950er Jahren, außenwirtschaftliche
Öffnung mit dem Festhalten an wohlfahrtsstaatlichen Programmen durch deren
gegenseitigen Abstimmung in einem gemeinsamen Wirtschaftsraum zu kombinieren.
Wie die Geschichte des Integrationsprozesses seitdem gezeigt hat, stellt die Koordi-
nation offener Wohlfahrtsstaaten im supranationalen Europa keineswegs eine ge-
sicherte Errungenschaft dar. Sie muss vielmehr immer wieder aufs Neue hergestellt
werden. Die Frage nach dem Ausgleich zwischen Marktintegration, sozialer Harmo-
nisierung und einzelstaatlichen Gestaltungsspielräumen stellte sich bei jeder ent-
scheidenden Etappe der Integration, bei jedem großen Projekt und jeder großen
Krise. Aktuell bietet die soziale Dimension europäischen Handelns ein eher verwir-
rendes Bild: „Je nach Wetterlage gibt es mal ein bisschen mehr Schutz und Hilfe für
die Arbeitnehmer und dann wieder ein bisschen mehr Liberalisierung“, ohne dass
grundsätzliche Fragen offen angesprochen würden.
Fragt man in der aktuellen Lage nach den Bedingungen und Grenzen über-
staatlicher Solidarität im Staatenverbund Europa, so ist damit also kein durch die
Krise des Wohlfahrtsstaates und die Erweiterung der Europäischen Union über den
Kreis eines relativ homogenen westeuropäischen „Kerns“ hinaus plötzlich neu auf-
getretenes Problem angesprochen, sondern eine Frage, die den Integrationsprozess
von Anfang an mitbestimmt hat.
Dieser Beitrag geht unter Berücksichtigung der historischen Dimension der
Frage nach, wie Solidaritätspflichten im bundes-, über- und zwischenstaatlichen
Rahmen in der Vergangenheit organisiert und legitimiert wurden. Dabei interessiert
uns insbesondere die für den gegenwärtigen Abschnitt des europäischen Integra-
tionsprozesses bedeutsame Wechselwirkung zwischen drei Faktoren:
- den institutionellen Formen der Organisation von und Entscheidung über Soli-
daritätspflichten,
- dem inhaltlichen Umfang solcher Verpflichtungen und
- der geographischen Reichweite dieser Verpflichtungen.
Das Ziel des Beitrags ist es, auf der Grundlage unserer vorliegenden Über-
legungen zur Völkersouveränität in der Europäischen Union ein Konzept der
Völkersolidarität zu skizzieren, das es erlaubt, die angemessene Ebene der Auf-
gabenerledigung und der dazu passenden Organisationsform von Solidaritätspflich-
ten in der Union anzugeben.
stiger Solldarleistungen gelangen können soll, ist manchmal territorialer, manchmal
auch nicht territorialer Art gewesen und hat subnationale, nationale und auch über-
nationale Räume eingeschlossen. Auch zeigt sich, dass Solidarität freiwillig und ver-
pflichtend organisiert sein kann, in Finanztransfers ebenso wie in der Eröffnung von
Gelegenheiten und im Tun ebenso wie im Unterlassen geübt werden kann, zwischen
Einzelnen, Gruppen, Staaten und internationalen Organisationen bestehen kann
usw. Organisierte Solidarität hat sich auch historisch längst nicht in Transferzahlun-
gen eines Nationalstaats an seine Angehörigen erschöpft.
Nicht zuletzt steht die Absicherung binnenstaatlicher Solidarsysteme durch
übernationale Gemeinschaftsbildung auch am Anfang der europäischen Integration.
Das Europa der Kohle- und Stahlgemeinschaft und des Gemeinsamen Marktes
erlaubte es den westeuropäischen Staaten in den 1950er Jahren, außenwirtschaftliche
Öffnung mit dem Festhalten an wohlfahrtsstaatlichen Programmen durch deren
gegenseitigen Abstimmung in einem gemeinsamen Wirtschaftsraum zu kombinieren.
Wie die Geschichte des Integrationsprozesses seitdem gezeigt hat, stellt die Koordi-
nation offener Wohlfahrtsstaaten im supranationalen Europa keineswegs eine ge-
sicherte Errungenschaft dar. Sie muss vielmehr immer wieder aufs Neue hergestellt
werden. Die Frage nach dem Ausgleich zwischen Marktintegration, sozialer Harmo-
nisierung und einzelstaatlichen Gestaltungsspielräumen stellte sich bei jeder ent-
scheidenden Etappe der Integration, bei jedem großen Projekt und jeder großen
Krise. Aktuell bietet die soziale Dimension europäischen Handelns ein eher verwir-
rendes Bild: „Je nach Wetterlage gibt es mal ein bisschen mehr Schutz und Hilfe für
die Arbeitnehmer und dann wieder ein bisschen mehr Liberalisierung“, ohne dass
grundsätzliche Fragen offen angesprochen würden.
Fragt man in der aktuellen Lage nach den Bedingungen und Grenzen über-
staatlicher Solidarität im Staatenverbund Europa, so ist damit also kein durch die
Krise des Wohlfahrtsstaates und die Erweiterung der Europäischen Union über den
Kreis eines relativ homogenen westeuropäischen „Kerns“ hinaus plötzlich neu auf-
getretenes Problem angesprochen, sondern eine Frage, die den Integrationsprozess
von Anfang an mitbestimmt hat.
Dieser Beitrag geht unter Berücksichtigung der historischen Dimension der
Frage nach, wie Solidaritätspflichten im bundes-, über- und zwischenstaatlichen
Rahmen in der Vergangenheit organisiert und legitimiert wurden. Dabei interessiert
uns insbesondere die für den gegenwärtigen Abschnitt des europäischen Integra-
tionsprozesses bedeutsame Wechselwirkung zwischen drei Faktoren:
- den institutionellen Formen der Organisation von und Entscheidung über Soli-
daritätspflichten,
- dem inhaltlichen Umfang solcher Verpflichtungen und
- der geographischen Reichweite dieser Verpflichtungen.
Das Ziel des Beitrags ist es, auf der Grundlage unserer vorliegenden Über-
legungen zur Völkersouveränität in der Europäischen Union ein Konzept der
Völkersolidarität zu skizzieren, das es erlaubt, die angemessene Ebene der Auf-
gabenerledigung und der dazu passenden Organisationsform von Solidaritätspflich-
ten in der Union anzugeben.