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FÖRDERUNG DES WISSENSCHAFTLICHEN NACHWUCHSES
Ende der 1970er Jahre machte sie die intensive gegenseitige Wahrnehmung der Auf-
arbeitungsprozesse und den damit einhergehenden „Erinnerungstransfer“ deutlich.
Cornelius Lehnguth betonte die Sprengkraft der Waldheim-Affäre in Österreich und
beschrieb die „narrative Pluralisierung“ des nationalen Opfer-Mythos in deren
Folge.
Um die Aufarbeitungsprozesse im Bezug auf den osteuropäischen Kommunis-
mus ging es in den Vorträgen von Dr. Vladimir Handl (Prag) und Ljiljana Radonic
(Wien). Handl diskutierte das Paradox der gleichzeitigen Etablierung einer strengen
tschechischen Gesetzgebung im Bezug auf die Aufarbeitung der kommunistischen
Vergangenheit und der Existenz einer beinahe unreformierten kommunistischen
Partei. Am Beispiel des tschechischen Antikommunismus machte er deutlich, dass
Vergangenheitspolitik rein politisch-instrumentelle Ziele verfolgen kann. Auch in
Radonics Vortrag zu Kroatien wurde ein politisch-instrumenteller Bezug auf die Ver-
gangenheit konstatiert, den sie in einer als „revisionistisch“ zu klassifizierenden
Umkehrung der vergangenheitspolitischen Inhalte gegeben sah. Radonic zeigte
damit, warum im kroatischen Fall beim Begriff der „Diktaturüberwindung“ Vorsicht
geboten ist.
Um Staaten mit noch nicht abgeschlossener Diktaturüberwindung ging es
dezidiert auch im folgenden Panel. Hier erinnerte Oleksandr Sveytlov an den verges-
senen „Krieg im Krieg“ zwischen Polen und der Ukraine und dessen Bedeutung
für die heutige ukrainische Geschichtspolitik. Imke Hansen stellte die politische
Entwicklung in Belarus als einen Kampf zwischen einem sowjetisch geprägten und
einem demokratischen Weltbild dar. Sie konstatierte, man habe das heutige Belarus
als Beispiel für das Scheitern von Diktaturüberwindung anzusehen.
Nachmittag und Abend des zweiten Tages waren der kontroversen Frage nach
der Totalitarismustheorie gewidmet, die man, so Dominik Trutkowski (Dresden) in sei-
nem einführenden Vortrag zum Thema, eigentlich im Plural denken müsse.
Trutkowski plädierte für eine vorsichtige Weiterentwicklung der Theorie. Julie
Trappe (Heidelberg) und Birgit Hofmann (Heidelberg) verglichen die Verwendung des
Totalitarismusparadigmas in Ost- und Westeuropa. Trappe zeigte am Beispiel Rumä-
niens auf, wie in Osteuropa das Totalitarismusparadigma zur gegenseitigen Aufrech-
nung von kommunistischen und nationalsozialistischen Verbrechen benutzt wird.
Hofmann beleuchtete vergleichend die Debatten um das „Schwarzbuch des Kom-
munismus“ sowie um eine Resolution des Europarates zur Verurteilung der
Verbrechen kommunistischer Regime in Deutschland und Frankreich. Während in
Frankreich eine Auseinandersetzung mit dem Kommunismus zu einer Renaissance
der Totalitarismustheorie geführt habe, werde in Deutschland ein Regimevergleich
stets vor dem Hintergrund der NS-Vergangenheit wahrgenommen.
Um eine Renaissance der Totalitarismustheorie und die diesbezüglichen Unter-
schiede in Ost- und Westeuropa ging es in der anschließenden Podiumsdiskussion,
die von Prof. Dr. Edgar Wolfrum geleitet wurde. Hier standen sich insbesondere die
Positionen der Publizistin Dr. Ulrike Ackermann (Frankfurt) und von Prof. Dr. Mario
Keßler (Potsdam) diametral gegenüber. Während Ackermann den westlichen Intel-
lektuellen eine Blindheit gegenüber den Verbrechen des Kommunismus vorwarf und
FÖRDERUNG DES WISSENSCHAFTLICHEN NACHWUCHSES
Ende der 1970er Jahre machte sie die intensive gegenseitige Wahrnehmung der Auf-
arbeitungsprozesse und den damit einhergehenden „Erinnerungstransfer“ deutlich.
Cornelius Lehnguth betonte die Sprengkraft der Waldheim-Affäre in Österreich und
beschrieb die „narrative Pluralisierung“ des nationalen Opfer-Mythos in deren
Folge.
Um die Aufarbeitungsprozesse im Bezug auf den osteuropäischen Kommunis-
mus ging es in den Vorträgen von Dr. Vladimir Handl (Prag) und Ljiljana Radonic
(Wien). Handl diskutierte das Paradox der gleichzeitigen Etablierung einer strengen
tschechischen Gesetzgebung im Bezug auf die Aufarbeitung der kommunistischen
Vergangenheit und der Existenz einer beinahe unreformierten kommunistischen
Partei. Am Beispiel des tschechischen Antikommunismus machte er deutlich, dass
Vergangenheitspolitik rein politisch-instrumentelle Ziele verfolgen kann. Auch in
Radonics Vortrag zu Kroatien wurde ein politisch-instrumenteller Bezug auf die Ver-
gangenheit konstatiert, den sie in einer als „revisionistisch“ zu klassifizierenden
Umkehrung der vergangenheitspolitischen Inhalte gegeben sah. Radonic zeigte
damit, warum im kroatischen Fall beim Begriff der „Diktaturüberwindung“ Vorsicht
geboten ist.
Um Staaten mit noch nicht abgeschlossener Diktaturüberwindung ging es
dezidiert auch im folgenden Panel. Hier erinnerte Oleksandr Sveytlov an den verges-
senen „Krieg im Krieg“ zwischen Polen und der Ukraine und dessen Bedeutung
für die heutige ukrainische Geschichtspolitik. Imke Hansen stellte die politische
Entwicklung in Belarus als einen Kampf zwischen einem sowjetisch geprägten und
einem demokratischen Weltbild dar. Sie konstatierte, man habe das heutige Belarus
als Beispiel für das Scheitern von Diktaturüberwindung anzusehen.
Nachmittag und Abend des zweiten Tages waren der kontroversen Frage nach
der Totalitarismustheorie gewidmet, die man, so Dominik Trutkowski (Dresden) in sei-
nem einführenden Vortrag zum Thema, eigentlich im Plural denken müsse.
Trutkowski plädierte für eine vorsichtige Weiterentwicklung der Theorie. Julie
Trappe (Heidelberg) und Birgit Hofmann (Heidelberg) verglichen die Verwendung des
Totalitarismusparadigmas in Ost- und Westeuropa. Trappe zeigte am Beispiel Rumä-
niens auf, wie in Osteuropa das Totalitarismusparadigma zur gegenseitigen Aufrech-
nung von kommunistischen und nationalsozialistischen Verbrechen benutzt wird.
Hofmann beleuchtete vergleichend die Debatten um das „Schwarzbuch des Kom-
munismus“ sowie um eine Resolution des Europarates zur Verurteilung der
Verbrechen kommunistischer Regime in Deutschland und Frankreich. Während in
Frankreich eine Auseinandersetzung mit dem Kommunismus zu einer Renaissance
der Totalitarismustheorie geführt habe, werde in Deutschland ein Regimevergleich
stets vor dem Hintergrund der NS-Vergangenheit wahrgenommen.
Um eine Renaissance der Totalitarismustheorie und die diesbezüglichen Unter-
schiede in Ost- und Westeuropa ging es in der anschließenden Podiumsdiskussion,
die von Prof. Dr. Edgar Wolfrum geleitet wurde. Hier standen sich insbesondere die
Positionen der Publizistin Dr. Ulrike Ackermann (Frankfurt) und von Prof. Dr. Mario
Keßler (Potsdam) diametral gegenüber. Während Ackermann den westlichen Intel-
lektuellen eine Blindheit gegenüber den Verbrechen des Kommunismus vorwarf und