II. Wissenschaftliche Vorträge
anlagung, d. h. sein individueller Genpool, mit dem besondere Verhaltensdispo-
sitionen sowie individuelle Begabungen und Neigungen, aber auch Schwächen
und Anfälligkeiten intellektueller, affektiv-emotionaler und sozialer Natur bereits
grundgelegt sind. Es gehören hierzu die natürlich-biologischen sowie die mit ihnen
meist identischen sozialen Eltern, die einen nachhaltig prägenden Einfluss auf die
Entwicklung eines Neugeborenen ausüben, und zwar vor allem in affektiv-emoti-
onaler Hinsicht. Denn es ist bekanntermaßen seine Kindheit, der ein Mensch die
vor allem sein Unbewusstes prägenden seelischen Anfangsgründe seiner späteren
Persönlichkeitsentwicklung verdankt, in der etwa in der dyadischcn Beziehung zur
eigenen leiblichen Mutter ein Urvertrauen, ein tiefes Geborgenheitsgefühl und
dadurch eine spätere Bindungs- und Hingabe-Fähigkeit wachsen kann oder auch
bei tiefgreifenden Entzugs- und Verlusterfahrungen abgründige Unsicherheiten
und Ängste entstehen können, unter deren Auswirkungen auch der erwachsen
Gewordene meist noch zu leiden, mit deren Hypothek er oft zeitlebens zu kämp-
fen hat. Ferner gehören hierzu das Trauma und die Umstände der eigenen Geburt,
die Natalität, sowie das soziale Milieu der Kleinfamilie wie auch des weiteren so-
zialen Umfeldes, in das ein zunächst ganz hilfsbedürftiges und daher von Fürsor-
ge, Zuwendung und Betreuung abhängiges Menschenkind hineingeboren, dem
es gleichsam ausgesetzt wird und das eine elementare Bedeutung für die späte-
re Entwicklung eines Menschen besitzt. Zu diesem basalen Element menschli-
cher Schicksalserfahrung gehören natürlich auch und nicht zuletzt Krankheiten,
die zwar auch endogen induziert, d. h. von innen, also von dem Schicksalsträger
selbst, verursacht sein können, deren Folgen und Wirkungen von dem Betroffenen
dennoch als leidbringendes Widerfahrnis empfunden werden, weil sie von ihm
gerade nicht gewollt und bewusst herbeigeführt werden, gegen die sich sein na-
türlicher Überlebens- und Selbsterhaltungstrieb vielmehr auf das Heftigste wehrt.
Schließlich gehören zu diesem dritten Element menschlicher Schicksalserfahrung
alle einzelnen „Schicksalsereignisse“ im Lebensschicksal eines Menschen, d. h. alle
unabsehbaren Geschehnisse, die für einen Menschen die erlebnismäßige Qualität
eines Widerfahrnisses besitzen, die gleichsam über ihn kommen, ob er will oder
nicht, die ihm also unverfügbar gegeben sind. Alle diese Momente aber sind für
den Schicksalsträger Mensch gleichsam objektiv vorgegebene, d. h. unentrinnbare,
Notwendigkeiten, unabhängig davon, ob sie als solche bewusst erfahren oder nur
unbewusst wahrgenommen und erlebt werden. Sie konstituieren in ihrer Gesamt-
heit daher einen wesentlichen Teil dessen, was wir alltags- und umgangssprachlich
als das Schicksal eines Menschen zu bezeichnen pflegen. Dieses Notwendigkeits-
element des menschlichen Schicksals ist schon in der griechischen Antike als ein
fundamentaler Grundzug menschlicher Schicksalserfahrung gesehen und emp-
funden worden, und zwar bereits in den homerischen Epen, ferner im sog. Er-My-
thos am Ende von Platons Hauptwerk Politeia und vor allem in der Schicksalslehre
der Stoa.
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anlagung, d. h. sein individueller Genpool, mit dem besondere Verhaltensdispo-
sitionen sowie individuelle Begabungen und Neigungen, aber auch Schwächen
und Anfälligkeiten intellektueller, affektiv-emotionaler und sozialer Natur bereits
grundgelegt sind. Es gehören hierzu die natürlich-biologischen sowie die mit ihnen
meist identischen sozialen Eltern, die einen nachhaltig prägenden Einfluss auf die
Entwicklung eines Neugeborenen ausüben, und zwar vor allem in affektiv-emoti-
onaler Hinsicht. Denn es ist bekanntermaßen seine Kindheit, der ein Mensch die
vor allem sein Unbewusstes prägenden seelischen Anfangsgründe seiner späteren
Persönlichkeitsentwicklung verdankt, in der etwa in der dyadischcn Beziehung zur
eigenen leiblichen Mutter ein Urvertrauen, ein tiefes Geborgenheitsgefühl und
dadurch eine spätere Bindungs- und Hingabe-Fähigkeit wachsen kann oder auch
bei tiefgreifenden Entzugs- und Verlusterfahrungen abgründige Unsicherheiten
und Ängste entstehen können, unter deren Auswirkungen auch der erwachsen
Gewordene meist noch zu leiden, mit deren Hypothek er oft zeitlebens zu kämp-
fen hat. Ferner gehören hierzu das Trauma und die Umstände der eigenen Geburt,
die Natalität, sowie das soziale Milieu der Kleinfamilie wie auch des weiteren so-
zialen Umfeldes, in das ein zunächst ganz hilfsbedürftiges und daher von Fürsor-
ge, Zuwendung und Betreuung abhängiges Menschenkind hineingeboren, dem
es gleichsam ausgesetzt wird und das eine elementare Bedeutung für die späte-
re Entwicklung eines Menschen besitzt. Zu diesem basalen Element menschli-
cher Schicksalserfahrung gehören natürlich auch und nicht zuletzt Krankheiten,
die zwar auch endogen induziert, d. h. von innen, also von dem Schicksalsträger
selbst, verursacht sein können, deren Folgen und Wirkungen von dem Betroffenen
dennoch als leidbringendes Widerfahrnis empfunden werden, weil sie von ihm
gerade nicht gewollt und bewusst herbeigeführt werden, gegen die sich sein na-
türlicher Überlebens- und Selbsterhaltungstrieb vielmehr auf das Heftigste wehrt.
Schließlich gehören zu diesem dritten Element menschlicher Schicksalserfahrung
alle einzelnen „Schicksalsereignisse“ im Lebensschicksal eines Menschen, d. h. alle
unabsehbaren Geschehnisse, die für einen Menschen die erlebnismäßige Qualität
eines Widerfahrnisses besitzen, die gleichsam über ihn kommen, ob er will oder
nicht, die ihm also unverfügbar gegeben sind. Alle diese Momente aber sind für
den Schicksalsträger Mensch gleichsam objektiv vorgegebene, d. h. unentrinnbare,
Notwendigkeiten, unabhängig davon, ob sie als solche bewusst erfahren oder nur
unbewusst wahrgenommen und erlebt werden. Sie konstituieren in ihrer Gesamt-
heit daher einen wesentlichen Teil dessen, was wir alltags- und umgangssprachlich
als das Schicksal eines Menschen zu bezeichnen pflegen. Dieses Notwendigkeits-
element des menschlichen Schicksals ist schon in der griechischen Antike als ein
fundamentaler Grundzug menschlicher Schicksalserfahrung gesehen und emp-
funden worden, und zwar bereits in den homerischen Epen, ferner im sog. Er-My-
thos am Ende von Platons Hauptwerk Politeia und vor allem in der Schicksalslehre
der Stoa.
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