III. Veranstaltungen
Wettbewerbsgesellschaft nicht nur zu beruhigen, sondern in planbare Lebensläufe
und in wohlfahrtsstaatliche Garantien zu transformieren. Das aber ist unmöglich.
Heute sind weder Lebensläufe planbar noch ist auf staatliche Fürsorgemaßnahmen
Verlass. Erwartungsüberlastung auf der einen, Erwartungsenttäuschung auf der
anderen Seite erzeugen eine Lähmung des Möglichkeitssinns und eine Art Dau-
ererregung der abgehängten Schichten. Der Effekt ist: Die risikoaffine Dynamik der
Moderne ist eigentümlich mit risikoaversen Mentalitäten verkoppelt. Die Standardposition
der Moderne, nämlich Fortschritt durch Erhöhung von Sicherheit zu stabilisieren,
ist in Frage gestellt.
Die modernen Gesellschaften, die einen historisch einzigartigen test drive auf-
weisen, erzeugen zugleich einen andauernden Beschleunigungsdruck (Ehrenberg
2004; Rosa 2005, Böhme 2011, Fuchs, Iwer & Micali 2018). Die Moderne hat
Schwierigkeiten damit, die Prozesse ständiger Verflüssigung und Veränderung
auszubalancieren durch Mechanismen der sozialen und politischen Stabilität oder
durch zeitübergreifende Sinnsicherung und Traditionsbildung. Beides hat sich
verbraucht. Das Risikomaß, das einen Vorsprung im Wettbewerb verspricht, ist
nicht beliebig zu erhöhen, wenn es keinen Gegenhalt in wirksamen Stabilitätsme-
chanismen gibt. Das bedeutet: Risiko und Sicherheit sind nicht nur komplemen-
tär, sondern auch proportional. Wächst das Risiko, muss Sicherheit mitwachsen; werden
bestimmte Niveaus von Sicherheit unterschritten, lässt die Risikobereitschaft nach.
Die Frage nach Sicherheit und Risiko - so auch Münkler, Bohlender und
Meurer (2009a, 2009b) - ist eine Schlüsselfrage moderner Gesellschaften, die
strukturell durch Kontingenz gekennzeichnet sind. Der Zwang zu Beobachtung,
Forschung und Reflexion hat sich angesichts der jüngsten Kriege und Krisen
dramatisch erhöht. Der Populismus verspricht nun genau jene Verankerung im
Tiefengrund von Volk, Überlieferung und Sein, die in der Moderne der Kontin-
genz verabschiedet wurden. Unklar aber ist, wer die neuen Eliten bilden könnte,
nachdem die alten blamiert sind. So kann man auf der einen Seite, insbesondere
bei den Globalisierungsgewinnern, eine Zunahme experimentellen und spieleri-
schen Möglichkeitsbewusstseins mit extremer Risikobereitschaft identifizieren,
während auf der anderen Seite Konformismus, larvierte Wut und Depression oder
als Amüsement getarnte Langeweile grassieren. Von beiden Seiten ist nichts zu
erwarten, zumal Risikokompetenz und Sicherheitsbedürfnis eklatant asymmetrisch verteilt
sind. Sie differenzieren sich zu Stilen des Lebens aus - und reißen die Gesellschaft
noch stärker auseinander, nicht nur ökonomisch, sondern auch soziokulturell und
lebensweltlich. Denn es gab Verlierer und Gewinner des Modernisierungsspiels.
Es ist unabweisbar, dass moderne Gesellschaften den Risiko-Habitus belohnen,
während für diejenigen Ängstlichen und Gehemmten, für die durchaus einiges
möglich wäre, gar nichts mehr geht außer der illusionären Teilhabe am populisti-
schen Rhythmus der Straße. Die verhassten Eliten aber sind, in Nietzsches Sinne,
die Nihilisten unserer Tage, die ihr Schäfchen längst im Trocknen haben, wenn die
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Wettbewerbsgesellschaft nicht nur zu beruhigen, sondern in planbare Lebensläufe
und in wohlfahrtsstaatliche Garantien zu transformieren. Das aber ist unmöglich.
Heute sind weder Lebensläufe planbar noch ist auf staatliche Fürsorgemaßnahmen
Verlass. Erwartungsüberlastung auf der einen, Erwartungsenttäuschung auf der
anderen Seite erzeugen eine Lähmung des Möglichkeitssinns und eine Art Dau-
ererregung der abgehängten Schichten. Der Effekt ist: Die risikoaffine Dynamik der
Moderne ist eigentümlich mit risikoaversen Mentalitäten verkoppelt. Die Standardposition
der Moderne, nämlich Fortschritt durch Erhöhung von Sicherheit zu stabilisieren,
ist in Frage gestellt.
Die modernen Gesellschaften, die einen historisch einzigartigen test drive auf-
weisen, erzeugen zugleich einen andauernden Beschleunigungsdruck (Ehrenberg
2004; Rosa 2005, Böhme 2011, Fuchs, Iwer & Micali 2018). Die Moderne hat
Schwierigkeiten damit, die Prozesse ständiger Verflüssigung und Veränderung
auszubalancieren durch Mechanismen der sozialen und politischen Stabilität oder
durch zeitübergreifende Sinnsicherung und Traditionsbildung. Beides hat sich
verbraucht. Das Risikomaß, das einen Vorsprung im Wettbewerb verspricht, ist
nicht beliebig zu erhöhen, wenn es keinen Gegenhalt in wirksamen Stabilitätsme-
chanismen gibt. Das bedeutet: Risiko und Sicherheit sind nicht nur komplemen-
tär, sondern auch proportional. Wächst das Risiko, muss Sicherheit mitwachsen; werden
bestimmte Niveaus von Sicherheit unterschritten, lässt die Risikobereitschaft nach.
Die Frage nach Sicherheit und Risiko - so auch Münkler, Bohlender und
Meurer (2009a, 2009b) - ist eine Schlüsselfrage moderner Gesellschaften, die
strukturell durch Kontingenz gekennzeichnet sind. Der Zwang zu Beobachtung,
Forschung und Reflexion hat sich angesichts der jüngsten Kriege und Krisen
dramatisch erhöht. Der Populismus verspricht nun genau jene Verankerung im
Tiefengrund von Volk, Überlieferung und Sein, die in der Moderne der Kontin-
genz verabschiedet wurden. Unklar aber ist, wer die neuen Eliten bilden könnte,
nachdem die alten blamiert sind. So kann man auf der einen Seite, insbesondere
bei den Globalisierungsgewinnern, eine Zunahme experimentellen und spieleri-
schen Möglichkeitsbewusstseins mit extremer Risikobereitschaft identifizieren,
während auf der anderen Seite Konformismus, larvierte Wut und Depression oder
als Amüsement getarnte Langeweile grassieren. Von beiden Seiten ist nichts zu
erwarten, zumal Risikokompetenz und Sicherheitsbedürfnis eklatant asymmetrisch verteilt
sind. Sie differenzieren sich zu Stilen des Lebens aus - und reißen die Gesellschaft
noch stärker auseinander, nicht nur ökonomisch, sondern auch soziokulturell und
lebensweltlich. Denn es gab Verlierer und Gewinner des Modernisierungsspiels.
Es ist unabweisbar, dass moderne Gesellschaften den Risiko-Habitus belohnen,
während für diejenigen Ängstlichen und Gehemmten, für die durchaus einiges
möglich wäre, gar nichts mehr geht außer der illusionären Teilhabe am populisti-
schen Rhythmus der Straße. Die verhassten Eliten aber sind, in Nietzsches Sinne,
die Nihilisten unserer Tage, die ihr Schäfchen längst im Trocknen haben, wenn die
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