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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2018 — 2019

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B. Die Mitglieder
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I. Antrittsreden
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Mager, Ute: Antrittsrede vom 28. April 2018
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https://doi.org/10.11588/diglit.55650#0146
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B. Die Mitglieder

tematik, der Sinn und Zweck der Regelung sowie Entstehungs- und Dogmen-
geschichte. Der bedeutende Rechtswissenschaftler Rudolf von Jhering nannte
dieses methodengeleitete Entscheiden die praktische Jurisprudenz im Gegensatz
zur theoretischen Jurisprudenz, die ebenfalls zur Rechtsdogmatik gehört und Sa-
che der Rechtswissenschaft ist.2 Insoweit handelt es sich um System- und Be-
griffsbildung, häufig induktiv vorgehend, im Rahmen der Normenhierarchie
einer bestehenden Rechtsordnung.
Am Beispiel meiner Doktorarbeit: Ich habe mir die gesamte Rechtsprechung
zu dem Problem des maßgeblichen Entscheidungszeitpunkts und die jeweils
entscheidungstragenden Argumente angeschaut. Dann habe ich untersucht,
welche Vorgaben sich aus dem Verfassungsrecht ergeben, insbesondere dem Ge-
waltenteilungsgrundsatz und dem Recht auf effektiven Rechtsschutz. Es folgte
die Auseinandersetzung mit den prozessrechtlichen Lösungsansätzen, die an die
Klagearten anknüpfen, die sich als nicht tragfähig erwiesen. Ausgangspunkt für
die vom Bundesverwaltungsgericht nahegelegte, aber nicht systematisch aus-
gearbeitete materiell-rechtliche Lösung war dann der Rechtswidrigkeitsbegriff
Der erste Schritt meiner Systematisierung bestand darin, diesen Rechtswidrig-
keitsbegriff in zwei Teile aufzuspalten, nämlich einerseits den Verstoß gegen die
objektive Rechtsordnung und andererseits die Verletzung in subjektiven Rech-
ten. Subjektive Rechte sind Ansprüche. Dies führte zu einer Systematisierung
der Zeitpunktbestimmung nach dem Anspruch, der dem jeweiligen Rechtsstreit
zugrunde liegt: Insoweit lässt sich systematisch unterscheiden zwischen grund-
rechtlichen Unterlassungsansprüchen, Rechtmäßigkeitsüberprüfungsansprü-
chen und diversen Leistungsansprüchen.
Eine solche systematisierende, also dogmatische Arbeit, ist kein Selbstzweck,
sondern dient zum einen der Reduktion von Komplexität, vor allem aber dient
sie dem fundamentalen Gerechtigkeitspostulat, Gleiches gleich zu behandeln.
Rechtsdogmatik dient der Abwehr von Willkür. In der Entlastungsfunktion - Re-
duktion von Komplexität - liegt allerdings die Gefahr des Dogmatismus, der Ver-
steinerung, begründet. Rechtsdogmatisches Arbeiten muss sich deshalb in seiner
kritischen Funktion, Rechtsanwendungsgleichheit zu sichern, an der Idee der Ge-
rechtigkeit ausrichten und sich dabei der Kontingenz der Gerechtigkeit bewusst
sein.3 Gemeint ist damit, dass die Idee der Gerechtigkeit keinen feststehenden
Inhalt hat, sondern die Aufforderung ist, das bestehende Recht im Hinblick auf
seine Stimmigkeit in sich sowie zur sich verändernden Lebenswirklichkeit stets
aufs Neue zu prüfen. Auf der Basis des geltenden Rechts prüft rechtsdogmatisches

2 S. pom Jhering, Ist die Jurisprudenz eine Wissenschaft, Jherings Wiener Antrittsvorlesung vom
16.10.1868. Aus dem Nachlass herausgegeben, mit einer Einführung, Erläuterungen sowie
einer wissenschaftlichen Einordnung versehen von Behrends, 1998.
3 S. dazu Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, 1995, Kapitel 5, S. 214 ff.

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