Metadaten

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2018 — 2019

DOI Kapitel:
C. Die Forschungsvorhaben
DOI Kapitel:
II.Tätigkeitsberichte (chronologisch)
DOI Kapitel:
16. Karl-Jaspers-Gesamtausgabe (KJG)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.55650#0295
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
16. Karl-Jaspers-Gesamtausgabe (KJG)

Wendung: die Wahrheit beginne zu zweit, im liebenden Kampf der Existenzen
und zugleich, historisch erweitert, in der Kommunikation mit den großen Philo-
sophen. Es ist diese Wendung, in der Nietzsches’ Aphorismus zur Maxime auch
der Philosophischen Elermeneutik avancierte.
Jaspers selbst praktiziert das dialogische Modell allerdings in einer Radikali-
tät, die an editorische Grenzen führt (was er nicht als Einwand verstanden hätte):
Seine Texte sind im eminenten Sinne Gespräche - Produkte eines symphilosophein,
das Jaspers gewissermaßen zu Protokoll bringt. Dies gilt besonders, wenn auch
am wenigsten sichtbar, für Jaspers’ Frau, Gertrud Mayer, die häufig nur im Zu-
sammenhang mit der Verfolgung des Ehepaars im Dritten Reich „gewürdigt“ oder
als Sekretärin erwähnt wird, tatsächlich aber lebenslang Jaspers’ wichtigste Ge-
sprächspartnerin war. „Ich bin überzeugt, sofern meine Philosophie eine Tiefe hat,
hätte ich diese nie erreicht ohne Gertrud.“ Es gilt nicht weniger von Ernst Mayer,
seinem Schwager. Hier wäre an buchstäblich tausenden Briefen und Postkarten
nachzuzeichnen, wie Jaspers’ Texte, bereits die Psychologie der Weltanschauungen1,
dann vor allem die Philosophie oder die Monographie über Nietzsche bis in letz-
te Formulierungen in einer Art Ko-Autorschaft entstanden sind. Fast könne man
sagen, „meine Werke sind ebensosehr die seinen, wie seine zugleich die meinen
sind“, erinnert Jaspers die Hochphase der Zusammenarbeit mit Mayer. Das Ma-
terial dazu ist ebenso uferlos wie schwierig zu präsentieren, besonders wenn sich,
wie beim Nietzsche2, Konflikte auftun, die beiden an die Substanz gehen - und in
ihrer polemischen Schärfe zeigen, dass das dialogische Prinzip nicht harmonistisch
misszuverstehen ist. Der ursprüngliche Plan jedenfalls, die Korrespondenz zwi-
schen Jaspers und Mayer stoßweise, von Band zu Band werkgeschichtlich und in
Stellenkommentaren abzuarbeiten, hat sich als unrealistisch erwiesen. Die ab 2020
vorgesehene Komplettedition des Briefwechsels wird vielmehr die einschlägigen
Texte Jaspers’ noch einmal in einen weiteren Zusammenhang stellen, verlangt aber
auch größeren Aufwand, für den Kompensationsmöglichkeiten noch gefunden
werden müssen.
Anders gelagert und anders intensiv gestaltet sich in den 1950er und 1960er
Jahren das Verhältnis zu Hannah Arendt. Für Arendt war die Wiederbegegnung
mit Jaspers 1949 richtungsweisend: „Das ist eigentlich mein stärkstes Nachkriegs-
erlebnis gewesen. Daß es solche Gespräche gibt! Daß man so sprechen kann!“
Jaspers faszinierte umgekehrt die Selbständigkeit Arendts, das Verstehenwollen
„ohne Geländer“. Was Jaspers und Arendt miteinander verband, trat im Medium
ihrer Gespräche zugleich als ein gegenläufiges Motiv auf: die Unabhängigkeit des
1 Der von der Göttinger Arbeitsstelle betreute Band ist im Druck: Oliver Immel (Hg.): Psycho-
logie der Weltanschauungen, KJG 1/6, Basel 2019.
2 Nietzsche. KJG 1/17, hg. von Dominic Kaegi und Andreas Urs Sommer. Alle - 2400 - Zitate
sind überprüft und nach der kritischen Gesamtausgabe nachgewiesen, Einleitung und Stellen-
kommentar sind zwischen den Herausgebern noch abzugleichen, der Band erscheint 2019.

295
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften