BUA 1,4
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[4] Der ehrwürdige und gottesfürchtige Guiard, Bischof von Cambrai,3
erschien, wie ich von Brüdern des Predigerordens gehört habe, nachdem er
sein Leben bei seinem Vorgehen gegen die Häretiker von Antwerpen4 nahe
dem Kloster Affligem5 in Brabant, das sehr streng nach der Regelbefolgung
5 lebte, äußerst gesegnet beendet hatte, zum Zeitpunkt dieser Reise selbst in 5
Gent einem gewissen Predigerbruder im Schlaf.6 Der Bruder fragte diesen:
„Wie geht es dir, Vater?“ Und jener sagte: „Ich bin gestorben, als ich die
gemeinschaftliche Schuld der Bedingung des Menschseins beglich; und
siehe da, ich gehe über zu sehr schweren Strafen, um zu sühnen, ehe ich
10 zum Ruhm getragen werden soll.“ Und bald sagte der Bruder: „Was ist der 10
Grund für die Strafe?“ Jener antwortete ihm: „Allzu große Strenge hat mich
schuldig gemacht und sühnepflichtig. Aber dieser Weg, auf dem ich für die
Reinigung der Kirche äußerst begierig auf die Häretiker lauerte, wird meine
Schuld vermindern und den aufgeschobenen Ruhm eilig herholen.“
15 Vorsteher sollen also lernen, dass man - wenn keine dringende 15
Notwendigkeit besteht - keinen Stachel von allzu großer Strenge haben soll;
vielmehr sollen sie nur mit Würde bewaffnet sein, damit sie den guten
Untergebenen zur Furcht ebenso wie zur Liebe gereichen. Es folgt:
^Guiard de Laon (1170 80-1248), Bischof von Cambrai seit 1238. Guiard pflegte enge
Beziehungen zu Cantimpre, wo Thomas von Cantimpre möglicherweise mit dessen Predigten in
Verbindung kam. S. BOEREN, La vie et les oevres, S. 88-89 (Itinerar Guiards mit Aufenthalten in
Cantimpre 1242 und 1246) sowie ebd., S. 139; s. außerdem BERLOU, La predication synodale.
^Offenbar eine Anspielung darauf dass seit den 1230er Jahren in den Diözesen Cambrai und
Arras das Vorgehen gegen Häretiker verstärkt wurde, und mithin auch die Zusammenarbeit mit
den Dominikanern. S. dazu MEERSSEMAN, Les debuts, S. 22-23 sowie Meril-Bellini DELLE
STELLE, Caritas et familiaritas, S. 183. Zur Geschichte der Diözese Cambrai im 13. Jahrhundert
s. außerdem SALZER, Vaucelles Abbey, S. 61-88. | 5Benediktinerabtei Affligem in Brabant, die
1063 von Pfalzgraf Heinrich II. von Lothringen (1064-1085) gegründet wurde. S. zur Geschichte
und Bedeutung der Abtei DESPY-MEYER/Gerard, Abbaye d Affligem, bes. S. 21-24, VAN
DROOGENBROECK, Het landgraafschap, S. 7-44 sowie APPELMANS, The Abbey of Affligem. Zu
den Verbindungen von Bischof Guiard nach Affligem s. BOEREN, La vie et les oevres, S. 76-79.
bZur Datierung von Guiards Tod s. BOEREN, La vie et les oevres, S. 54-56 sowie S. 88-89
(Itinerar, allerdings ohne Nennung eines zur Geschichte passenden Aufenthaltes in Gent).
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[4] Der ehrwürdige und gottesfürchtige Guiard, Bischof von Cambrai,3
erschien, wie ich von Brüdern des Predigerordens gehört habe, nachdem er
sein Leben bei seinem Vorgehen gegen die Häretiker von Antwerpen4 nahe
dem Kloster Affligem5 in Brabant, das sehr streng nach der Regelbefolgung
5 lebte, äußerst gesegnet beendet hatte, zum Zeitpunkt dieser Reise selbst in 5
Gent einem gewissen Predigerbruder im Schlaf.6 Der Bruder fragte diesen:
„Wie geht es dir, Vater?“ Und jener sagte: „Ich bin gestorben, als ich die
gemeinschaftliche Schuld der Bedingung des Menschseins beglich; und
siehe da, ich gehe über zu sehr schweren Strafen, um zu sühnen, ehe ich
10 zum Ruhm getragen werden soll.“ Und bald sagte der Bruder: „Was ist der 10
Grund für die Strafe?“ Jener antwortete ihm: „Allzu große Strenge hat mich
schuldig gemacht und sühnepflichtig. Aber dieser Weg, auf dem ich für die
Reinigung der Kirche äußerst begierig auf die Häretiker lauerte, wird meine
Schuld vermindern und den aufgeschobenen Ruhm eilig herholen.“
15 Vorsteher sollen also lernen, dass man - wenn keine dringende 15
Notwendigkeit besteht - keinen Stachel von allzu großer Strenge haben soll;
vielmehr sollen sie nur mit Würde bewaffnet sein, damit sie den guten
Untergebenen zur Furcht ebenso wie zur Liebe gereichen. Es folgt:
^Guiard de Laon (1170 80-1248), Bischof von Cambrai seit 1238. Guiard pflegte enge
Beziehungen zu Cantimpre, wo Thomas von Cantimpre möglicherweise mit dessen Predigten in
Verbindung kam. S. BOEREN, La vie et les oevres, S. 88-89 (Itinerar Guiards mit Aufenthalten in
Cantimpre 1242 und 1246) sowie ebd., S. 139; s. außerdem BERLOU, La predication synodale.
^Offenbar eine Anspielung darauf dass seit den 1230er Jahren in den Diözesen Cambrai und
Arras das Vorgehen gegen Häretiker verstärkt wurde, und mithin auch die Zusammenarbeit mit
den Dominikanern. S. dazu MEERSSEMAN, Les debuts, S. 22-23 sowie Meril-Bellini DELLE
STELLE, Caritas et familiaritas, S. 183. Zur Geschichte der Diözese Cambrai im 13. Jahrhundert
s. außerdem SALZER, Vaucelles Abbey, S. 61-88. | 5Benediktinerabtei Affligem in Brabant, die
1063 von Pfalzgraf Heinrich II. von Lothringen (1064-1085) gegründet wurde. S. zur Geschichte
und Bedeutung der Abtei DESPY-MEYER/Gerard, Abbaye d Affligem, bes. S. 21-24, VAN
DROOGENBROECK, Het landgraafschap, S. 7-44 sowie APPELMANS, The Abbey of Affligem. Zu
den Verbindungen von Bischof Guiard nach Affligem s. BOEREN, La vie et les oevres, S. 76-79.
bZur Datierung von Guiards Tod s. BOEREN, La vie et les oevres, S. 54-56 sowie S. 88-89
(Itinerar, allerdings ohne Nennung eines zur Geschichte passenden Aufenthaltes in Gent).