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Thomas; Burkhardt, Julia [Hrsg.]
Von Bienen lernen: das "Bonum universale de apibus" des Thomas von Cantimpré als Gemeinschaftsentwurf : Analyse, Edition, Übersetzung, Kommentar (Teilband 2): Analyse, Edition, Übersetzung und Kommentar — Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.53742#0208
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BUA 1,24

203

[4] Es gab in Flandern, wie ich aus der Erzählung eines Priesters aus jener
Gegend erfahren habe, zwei reiche Männer, die untereinander schwer
verfeindet waren und die eine günstige Gelegenheit suchten, wie der eine
den anderen fangen oder töten könnte. Es gab jedoch einen im höchsten
Maße liederlichen Menschen, der Diener des einen gewesen war und nun 5
dem anderen diente. Zu jenem also, dem er einst gedient hatte, kam er und
beschwerte sich über seinen Herren, dessen Diener er gegenwärtig war; und
er sagte sich, es werde sehr leicht sein, jenen den Händen des anderen
auszuliefem. Dieser war sehr erfreut und vereinbarte sogleich, jenem Geld
zu geben und er versprach es; und als dann eine günstige Gelegenheit 10
gekommen war, lieferte er seinen Herrn in die Hände des Feindes. Nachdem
dieser ermordet worden war, ging jener Verräter zu den Feinden auf der
Gegenseite und bot an, ihnen durch eine ähnliche List den Mörder
zuzuführen. Er glaubte nämlich, dass das Verbrechen des Verrats zuerst
allen außer allein jenen verborgen war, mit denen er den Vertrag 15
abgeschlossen hatte. Aber es war nicht so. Er wurde von jenen, denen er den
Mörder übergeben wollte, gefangen genommen, einem Richter vorgeführt,
erhängt und starb so einen schändlichen Tod. Aber sein Verbrechen wurde
später durch ein noch schändlicheres Geschehen bekannt. Auf Bitten seiner
Freunde hin wurde es nämlich gestattet, dass er vom Galgen abgenommen 20
wurde und er wurde in der Erde bestattet. Wenig später, am folgenden Tag,
denn er war in der Nacht bestattet worden, zogen unbekannte Hunde den
Begrabenen wieder hervor, was viele sahen, und zerstückelten ihn
untereinander gliedweise und in beklagenswerter Weise.3 Es folgt:

3Das drastische Schänden eines Leichnams ist im „Bienenbuch" ein häufig genutztes
Erzählmotiv, mit dem Thomas von Cantimpre aufzuzeigen versuchte, dass Verfehlungen im
Leben auch noch im Tod geahndet werden konnten. Dabei sind es stets Tiere (Hund, Stier oder
Schwein), die den betreffenden Leichnam identifizieren, ausgraben, zerstückeln, vertilgen oder
rauben. S. für weitere Beispiele Thom. Cantimpr. BUA 11,30,5, ebd. 11,-19,13 oder ebd. 11,57,4.
Darüber hinaus finden sich Berichte über abweichende Beerdigungsrituale (z.B. außerhalb der
Stadt) als Strafmaßnahmen, s. etwa Thom. Cantimpr. BUA 11,10,35. Zu Verweigerung der
Bestattung in geweihter Erde bzw. zu Abweichungen von Beerdigungsritualen s. außerdem
Schmitz-Esser, Leichnam, S. 475-495.
 
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