5
10
15
20
25
30
BUA 11,1
225
bewiesen. Selten und kurz angebunden im Gespräch, häufig ins Studium
vertieft, verbrachte er seine übrige Zeit im Gebet oder beim Meditieren.
Damit es aber den Brüdern nicht an den nötigen Dingen mangelte, besaß er
eine wunderbare Fürsorge gegenüber dem Konvent und drängte dadurch die
Brüder umso beherzter zur Regelbefolgung. Im Hinblick auf die Jüngeren 5
legte er einen äußerst leidenschaftlichen Eifer an den Tag, um diese in den
Sitten zu unterrichten und sie vor den Verlockungen des Fleisches und
anderen Übeln zu schützen. Dieser Mann wurde in die Krankenstube
gebracht, nachdem er sich bis zum Tag vor seinem Tod über sechs Tage
hinweg insgeheim mit hohem Fieber seinem Konvent angeschlossen hatte. 10
Sobald ich dies vernahm, kam ich mit dem Arzt, um den Daniederliegenden
zu besuchen und als der Arzt ihn sah, erkannte er, dass der Greis durch zu
große Gebrechlichkeit und Enthaltsamkeit erschöpft und kraftlos war. Er
ordnete an, dass sofort ein Huhn geschlachtet werden solle, obwohl es der
Mittwoch vor Ostern war.4 Und weil der Prior mit abgewandtem Gesicht 15
ablehnte, sagte ich zu ihm: „Es steht dir nicht zu, ohne die Gefahr der
Todsünde dem Arzt zu widersprechen, solange er etwas vorschreibt, das mit
geschriebenem Recht erlaubterweise getan werden kann.“ Darauf sprach
jener mit ruhiger Miene: „Mit mir geschehe der Wille des Herrn.“ Und
unverzüglich nachdem er das gesagt hatte, streckte er Füße und Hände im 20
Bett aus und starb mit in die Höhe gerichteten Augen.
[3] || Was aber soll ich über jenen äußerst heiligen Mann sagen, Bruder Johannes
vom Dominikanerorden in Bologna,5 der sich durch so großen Ruhm im Hinblick
auf Wundertaten ausgezeichnet haben soll, dass man glaubte, er stehe in dieser
Hinsicht keinem der alten Heiligen nach. Neben zahllosen anderen Wundem gilt es 25
als äußerst wahrhaftig bewiesen, dass er sieben Tote ins Leben zurückgeholt hat.
Und unbeschadet eines besseren Urteils glaube ich, dass der Allmächtige dies durch
ihn in solchem Ruhmesglanz eingerichtet hat, damit die ketzerische Verwerflichkeit,
die leider in jener Gegend überhandnahm, gestört würde. Und damit, davon bin ich
felsenfest überzeugt, der Predigerorden, der eben dort kürzlich emporzusteigen 30
4/w der Fastenzeit bis Ostern galt in Klöstern das Gebot des Fleischverzichts. S. hierzu
SONNTAG, Speisen des Himmels. | 5Johannes von Vicenza OP (geb. um 1200), Mitglied des
Dominikanerkonvents von Bologna und Prediger; seit 1233 exponierter Vertreter einer
Friedensbewegung in Norditalien. Vgl. hierfür die Vita des Johannes in Acta Sanctorum, Julii
Tom. I, S. 410-426, SUTTER, Johann von Vicenza, THOMPSON, Revival Preachers, S. 39-44 und
52-79 sowie ALBERZONI, Mendikantenpredigt, S. 107-116. Laut PLATELLE, Les exemples, S. 280,
handelt es sich bei Thomas ’ Bericht um das älteste Zeugnis zu Johannes, über dessen Leben
ansonsten nichts Genaueres bekannt ist.
10
15
20
25
30
BUA 11,1
225
bewiesen. Selten und kurz angebunden im Gespräch, häufig ins Studium
vertieft, verbrachte er seine übrige Zeit im Gebet oder beim Meditieren.
Damit es aber den Brüdern nicht an den nötigen Dingen mangelte, besaß er
eine wunderbare Fürsorge gegenüber dem Konvent und drängte dadurch die
Brüder umso beherzter zur Regelbefolgung. Im Hinblick auf die Jüngeren 5
legte er einen äußerst leidenschaftlichen Eifer an den Tag, um diese in den
Sitten zu unterrichten und sie vor den Verlockungen des Fleisches und
anderen Übeln zu schützen. Dieser Mann wurde in die Krankenstube
gebracht, nachdem er sich bis zum Tag vor seinem Tod über sechs Tage
hinweg insgeheim mit hohem Fieber seinem Konvent angeschlossen hatte. 10
Sobald ich dies vernahm, kam ich mit dem Arzt, um den Daniederliegenden
zu besuchen und als der Arzt ihn sah, erkannte er, dass der Greis durch zu
große Gebrechlichkeit und Enthaltsamkeit erschöpft und kraftlos war. Er
ordnete an, dass sofort ein Huhn geschlachtet werden solle, obwohl es der
Mittwoch vor Ostern war.4 Und weil der Prior mit abgewandtem Gesicht 15
ablehnte, sagte ich zu ihm: „Es steht dir nicht zu, ohne die Gefahr der
Todsünde dem Arzt zu widersprechen, solange er etwas vorschreibt, das mit
geschriebenem Recht erlaubterweise getan werden kann.“ Darauf sprach
jener mit ruhiger Miene: „Mit mir geschehe der Wille des Herrn.“ Und
unverzüglich nachdem er das gesagt hatte, streckte er Füße und Hände im 20
Bett aus und starb mit in die Höhe gerichteten Augen.
[3] || Was aber soll ich über jenen äußerst heiligen Mann sagen, Bruder Johannes
vom Dominikanerorden in Bologna,5 der sich durch so großen Ruhm im Hinblick
auf Wundertaten ausgezeichnet haben soll, dass man glaubte, er stehe in dieser
Hinsicht keinem der alten Heiligen nach. Neben zahllosen anderen Wundem gilt es 25
als äußerst wahrhaftig bewiesen, dass er sieben Tote ins Leben zurückgeholt hat.
Und unbeschadet eines besseren Urteils glaube ich, dass der Allmächtige dies durch
ihn in solchem Ruhmesglanz eingerichtet hat, damit die ketzerische Verwerflichkeit,
die leider in jener Gegend überhandnahm, gestört würde. Und damit, davon bin ich
felsenfest überzeugt, der Predigerorden, der eben dort kürzlich emporzusteigen 30
4/w der Fastenzeit bis Ostern galt in Klöstern das Gebot des Fleischverzichts. S. hierzu
SONNTAG, Speisen des Himmels. | 5Johannes von Vicenza OP (geb. um 1200), Mitglied des
Dominikanerkonvents von Bologna und Prediger; seit 1233 exponierter Vertreter einer
Friedensbewegung in Norditalien. Vgl. hierfür die Vita des Johannes in Acta Sanctorum, Julii
Tom. I, S. 410-426, SUTTER, Johann von Vicenza, THOMPSON, Revival Preachers, S. 39-44 und
52-79 sowie ALBERZONI, Mendikantenpredigt, S. 107-116. Laut PLATELLE, Les exemples, S. 280,
handelt es sich bei Thomas ’ Bericht um das älteste Zeugnis zu Johannes, über dessen Leben
ansonsten nichts Genaueres bekannt ist.