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Thomas; Burkhardt, Julia [Hrsg.]
Von Bienen lernen: das "Bonum universale de apibus" des Thomas von Cantimpré als Gemeinschaftsentwurf : Analyse, Edition, Übersetzung, Kommentar (Teilband 2): Analyse, Edition, Übersetzung und Kommentar — Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.53742#0316
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BUA 11,10

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mit sechzehn Jahren der jüngere Bruder,4 zu dem, als sein Vater, der König,
ihn zu herrschen zwang, seine Schwester Mathilde, eine Jungfrau von
zwanzig Jahren, sagte: „Alexander, liebster Bruder, was wirst du nun tun?
Deine älteren Brüder haben die Erde verlassen, um den Himmel zu
gewinnen; sie haben das irdische Reich verschmäht, um die ewigen Reiche 5
zu besitzen. Für dich allein ist also das Königreich übriggeblieben, für das
du sowohl den himmlischen Ruhm als auch die Seele verlieren wirst.“
Unverzüglich brach Alexander in Tränen aus: „Ach Schwester“, sagte er,
„und was zu tun rätst du mir? Ich bin bereit zu erfüllen, was auch immer du
mir befehlen wirst.“ Als dies die Schwester hörte, war sie sehr erfreut; und 10
sie nahm den Bruder, und führte ihn, nachdem er die Kleidung gewechselt
hatte, in entlegenere Gebiete, wo sie ihm beibrachte, zu melken, die Milch
zu Lab zu machen und den besten Käse herzustellen.
Von dort aus kamen sie nach Frankreich zum Zisterzienserkloster Foigny,5
wo die Schwester den Bruder als Kuhhirten unterbrachte, und er zeigte sich 15
bewährt beim Herstellen der besten Käsesorten. Als er ein Konversenbruder
des Klosters geworden war, sprach ihn die Schwester mit folgenden Worten
an: „Wir werden viel Lohn bei Gott gewinnen, weil wir das Land und die
Eltern verlassen haben; aber wir werden dabei eine besondere Entlohnung
erhalten, wenn wir uns gegenwärtig bis zur künftigen Zeit, da wir einander 20
im Himmel zum ewigen Trost sehen, voneinander trennen, so dass keiner
von uns den anderen weiter sieht.“ Als der Bruder dies hörte, weinte er,
denn er hielt dies für schwerer als alles, auf das er verzichtet hatte; und
obgleich er widerwillig war, beherrschte er sein Herz und trennte sich
vollkommen von der Schwester. Jene aber ging neun Meilen fort an einen 25
Ort, der Lappion genannt wird, um ebendort zu bleiben; dort hatte sie ein
ärmliches Häuschen - wie einen Gänseschuppen - und lebte alleine von der
Arbeit ihrer Hände. Sie konnte weder dazu gebracht noch gebeten werden,

^Alexander (gest. um 1229), Bruder Mathildas von Lappion, Konversenbruder im
nordfranzösischen Zisterzienserkloster Foigny (s. Anm. 5), der dort seit etwa 1250 verehrt
wurde. Möglicherweise ist mit dem hier beschriebenen Vater König Alexander II. von
Schottland gemeint (s. Anm. 3), dessen Ehefrau Maria über ihre Herkunftsfamilie Coucy mit
dem Kloster Foigny eng verbunden war. Auch die einschlägige Forschung weiß die Personen
nicht klar zu identifizieren: Anders als TOLONEN, der lediglich von einer konstruierten,
historisch nicht eindeutig belegbaren Verwandtschaft Alexanders und Mathildas ausgeht und
sich entsprechend auch einer Identifizierung Alexanders enthält, geht POLLOCK davon aus, dass
mit dem hier beschriebenen Konversen ein Halbbruder Alexanders II. gemeint ist. S. TOLONEN,
Secret Lineage, S. 66-75 sowie POLLOCK, Scotland, England and France, S. 91-93.
Misterzienserkloster in der Picardie, um 1121 von Bernhard von Clairvaux als Tochterkloster
von Clairvaux gegründet. S. hierzu DOYEN, Chäteaux, abbayes et peuplement, S. 125-128 sowie
Doyen, Le röle.
 
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