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leer erscheine.“ Aber auch ein jeder von uns möge begehren, sich um ein
barmherziges Werk zu bemühen, damit er nicht mit den einfältigen
Jungfrauen durch den eitlen Glanz abgewiesen wird. Der von Hölzern und
Blättern schwere Weinstock hängt freilich wie mit einem sehr dünnen Faden
an einem Stamm, damit er sich kaum losreißen kann. Wie klein auch die 5
Tugend sei, sie wird dich durch das Gefüge der Nächstenliebe in Christus
halten, wenn du nur nicht gänzlich fällst. Die Tugend nämlich nutzt
niemand auf schlechte Weise. Du sollst überhaupt keinen Tag vorübergehen
lassen, kein Kummer, keine Mühe soll dich entschuldigen, ohne dass du
etwas Gutes tust. Und siehe den Grund. 10
[3] Im „Buch über die Natur der Dinge“, dessen Autor Plinius ist,2 wird
gesagt, dass das Huhn an dem Tag nicht von der Schlange vergiftet werden
kann, an dem es „ein Ei gelegt hat.“ Was bezeichnet das Ei, in dem die
Hoffnung auf ein junges Huhn ist, wenn nicht die Frucht eines guten
Werkes, durch das Hoffnung auf ewiges Leben besteht? 15
[4] Wie beschaffen aber jenes Werk sein muss, zeigt der Prophet Jesaja,
indem er sagt: „Brich dem Hungrigen dein Brot und führe die Bedürftigen
und Umherziehenden in dein Haus. Wenn du einen Nackten siehst, bedecke
ihn und schätze nicht dein Fleisch gering.“ Er stellt hier vier Grundsätze auf:
Dem Hungernden Brot geben, den Gast empfangen, den Nackten bekleiden, 20
den Nächsten nicht verachten, sondern schätzen. Zu diesen vier Grundsätzen
führen wir nun Beispiele an und zwar zunächst, weshalb dem Armen
geholfen werden muss.
[5] Zu unserer Zeit, nämlich im Jahre der Fleischwerdung des Herrn 1222,
gab es einen gewissen Abt mit Namen Wilhelm im Kloster Villers in 25
Brabant,3 der sich gegenüber den Armen als sehr freigiebig und fromm aus
Anlass eines Wunders erwies, wie er dem Bruder Walther, einst Prior der
2Gaius Plinius Secundus Maior, genannt Plinius der Ältere (23/24-79 n. Chr.) verfasste um 77 n.
Chr. seine Naturalis historia, eine naturkundliche Enzyklopädie in insgesamt 3 7 Büchern. S. zur
Rezeption des Werks und konkret zur Übernahme dieser Stelle durch Thomas AlKEN, Animal
history S. 219 sowie für weitere Informationen Thom. Cantimpr BUA prolog. | 3 Wilhelm von
Dongelbert (1165-1242), Abt der Zisterzienserabteien Villers und Clairvaux. S. für weitere
Informationen Thom. Cantimpr. BUA 1,9,3 sowie zur Abtei Villers ebd. 11,26,5.
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leer erscheine.“ Aber auch ein jeder von uns möge begehren, sich um ein
barmherziges Werk zu bemühen, damit er nicht mit den einfältigen
Jungfrauen durch den eitlen Glanz abgewiesen wird. Der von Hölzern und
Blättern schwere Weinstock hängt freilich wie mit einem sehr dünnen Faden
an einem Stamm, damit er sich kaum losreißen kann. Wie klein auch die 5
Tugend sei, sie wird dich durch das Gefüge der Nächstenliebe in Christus
halten, wenn du nur nicht gänzlich fällst. Die Tugend nämlich nutzt
niemand auf schlechte Weise. Du sollst überhaupt keinen Tag vorübergehen
lassen, kein Kummer, keine Mühe soll dich entschuldigen, ohne dass du
etwas Gutes tust. Und siehe den Grund. 10
[3] Im „Buch über die Natur der Dinge“, dessen Autor Plinius ist,2 wird
gesagt, dass das Huhn an dem Tag nicht von der Schlange vergiftet werden
kann, an dem es „ein Ei gelegt hat.“ Was bezeichnet das Ei, in dem die
Hoffnung auf ein junges Huhn ist, wenn nicht die Frucht eines guten
Werkes, durch das Hoffnung auf ewiges Leben besteht? 15
[4] Wie beschaffen aber jenes Werk sein muss, zeigt der Prophet Jesaja,
indem er sagt: „Brich dem Hungrigen dein Brot und führe die Bedürftigen
und Umherziehenden in dein Haus. Wenn du einen Nackten siehst, bedecke
ihn und schätze nicht dein Fleisch gering.“ Er stellt hier vier Grundsätze auf:
Dem Hungernden Brot geben, den Gast empfangen, den Nackten bekleiden, 20
den Nächsten nicht verachten, sondern schätzen. Zu diesen vier Grundsätzen
führen wir nun Beispiele an und zwar zunächst, weshalb dem Armen
geholfen werden muss.
[5] Zu unserer Zeit, nämlich im Jahre der Fleischwerdung des Herrn 1222,
gab es einen gewissen Abt mit Namen Wilhelm im Kloster Villers in 25
Brabant,3 der sich gegenüber den Armen als sehr freigiebig und fromm aus
Anlass eines Wunders erwies, wie er dem Bruder Walther, einst Prior der
2Gaius Plinius Secundus Maior, genannt Plinius der Ältere (23/24-79 n. Chr.) verfasste um 77 n.
Chr. seine Naturalis historia, eine naturkundliche Enzyklopädie in insgesamt 3 7 Büchern. S. zur
Rezeption des Werks und konkret zur Übernahme dieser Stelle durch Thomas AlKEN, Animal
history S. 219 sowie für weitere Informationen Thom. Cantimpr BUA prolog. | 3 Wilhelm von
Dongelbert (1165-1242), Abt der Zisterzienserabteien Villers und Clairvaux. S. für weitere
Informationen Thom. Cantimpr. BUA 1,9,3 sowie zur Abtei Villers ebd. 11,26,5.