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sich die üble Gewohnheit angeeignet hatte, sich zur Steigerung der Lust
unerlaubt zu berühren - o wie schrecklich zu hören! Und siehe, was folgt:
Als dieser sich nämlich einmal, als er allein war, antastete, ergriff er mit
seiner Hand zwischen seinen Beinen anstelle eines männlichen Gliedes eine
Schlange. Als dies geschehen war, war er vor Schrecken erschüttert, kam 5
zur Beichte und leistete seine Buße unter vielen Tränen.
[7] Aristoteles6 sagt als Autor in seinem „Buch über die Tiere“,7 dass kein
Tier außer dem Menschen seinen Samen außerhalb der Frau auswirft, und in
dieser Ordnung ist der Mensch widernatürlicher als das Vieh. Hieronymus8
hat gesagt, dass dies ein so großes Übel ist, dass der Sohn Gottes es dafür 10
lange Zeit aufgeschoben hat, Menschengestalt anzunehmen.9 Es ist auch so
groß, dass Augustinus10 sagt, dass, als Gott sich der Natur im Fleisch
näherte, alle Feinde der Natur, verstehe darunter: die Sodomiten, durch
einen schlechten und plötzlichen Tod zugrunde gegangen sind.
[8] Als junger Mann hatte ich einen sehr heben Gefährten in der 15
Knabenschule, der sittsam und gut war. Aber ach, später wurde er von
einem gewissen Lehrer durch dessen frevelhaftes Laster verdorben. Als er
von mir und anderen Freunden und seinen Gefolgsleuten ermahnt wurde,
warum er selbst, ein Mann von solcher Vortrefflichkeit, die Schmach einer
solchen Schändlichkeit ertrage, ließ jener mehrfach davon ab, fiel aber 20
immer wieder in den früheren Zustand zurück. Diese erstaunliche Sache
gelangte zu folgendem verdammenswerten Ausgang: In der Stadt, in der er
Kanoniker war, kamen adelige Männer zu ihm, seine Blutsverwandten, und
sie hielten sich mit einem großen Gefolge an Dienern als Gäste bei ihm auf.
Nachdem aber ein Essen mit den bei ihm untergebrachten Gästen abgehalten 25
worden war und der junge Mann sich dem Schlaf hingegeben hatte, da
begann er, kaum waren seine Gefolgsleute eingeschlafen, schrecklich zu
^Aristoteles (384-322 v. Chr), Naturgelehrter und Philosoph. S. für weitere Informationen
Thom. Cantimpr. BUA prolog. | 7De animalibus, zoologische Schrift des Aristoteles, die im 4.
Jahrhundert v. Chr. abgefasst wurde. Sie wurde um 1210 von Michael Scotus (gest. 1235) aus
dem Arabischen ins Lateinische sowie um 1260 von Wilhelm von Moerbeke (1215-1286) aus
dem Griechischen ins Lateinische übertragen. S. hierzu HÜNEMÖRDER, Art. „Aristoteles“. Zum
Einfluss aristotelischer Schriften auf das Werk des Thomas von Cantimpre s. GULDENTOPS,
Sagacity. | Ull. Hieronymus (347/348-419/420), Priester, Theologe, Kirchenlehrer. S. für
weitere Informationen Thom. Cantimpr. BUA 11,29,11. | 9Die hier benannte Vorlage von
Hieronymus ist nicht zu identifizieren. In der von dem Dominikaner Jacobus de Voragine (ca.
1226-1298) OP um 1263-67 zusammengestellten Legenda aurea, einer Sammlung von
Heiligenviten und biblischen Geschichten, findet sich jedoch ein ähnlicher Gedankengang,
allerdings mit Bezug auf Augustinus: Jac. Vorag. Legenda aurea, cap. VI, S. 45f. | WHL
Augustinus (354-430), s. Anm. 2.
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sich die üble Gewohnheit angeeignet hatte, sich zur Steigerung der Lust
unerlaubt zu berühren - o wie schrecklich zu hören! Und siehe, was folgt:
Als dieser sich nämlich einmal, als er allein war, antastete, ergriff er mit
seiner Hand zwischen seinen Beinen anstelle eines männlichen Gliedes eine
Schlange. Als dies geschehen war, war er vor Schrecken erschüttert, kam 5
zur Beichte und leistete seine Buße unter vielen Tränen.
[7] Aristoteles6 sagt als Autor in seinem „Buch über die Tiere“,7 dass kein
Tier außer dem Menschen seinen Samen außerhalb der Frau auswirft, und in
dieser Ordnung ist der Mensch widernatürlicher als das Vieh. Hieronymus8
hat gesagt, dass dies ein so großes Übel ist, dass der Sohn Gottes es dafür 10
lange Zeit aufgeschoben hat, Menschengestalt anzunehmen.9 Es ist auch so
groß, dass Augustinus10 sagt, dass, als Gott sich der Natur im Fleisch
näherte, alle Feinde der Natur, verstehe darunter: die Sodomiten, durch
einen schlechten und plötzlichen Tod zugrunde gegangen sind.
[8] Als junger Mann hatte ich einen sehr heben Gefährten in der 15
Knabenschule, der sittsam und gut war. Aber ach, später wurde er von
einem gewissen Lehrer durch dessen frevelhaftes Laster verdorben. Als er
von mir und anderen Freunden und seinen Gefolgsleuten ermahnt wurde,
warum er selbst, ein Mann von solcher Vortrefflichkeit, die Schmach einer
solchen Schändlichkeit ertrage, ließ jener mehrfach davon ab, fiel aber 20
immer wieder in den früheren Zustand zurück. Diese erstaunliche Sache
gelangte zu folgendem verdammenswerten Ausgang: In der Stadt, in der er
Kanoniker war, kamen adelige Männer zu ihm, seine Blutsverwandten, und
sie hielten sich mit einem großen Gefolge an Dienern als Gäste bei ihm auf.
Nachdem aber ein Essen mit den bei ihm untergebrachten Gästen abgehalten 25
worden war und der junge Mann sich dem Schlaf hingegeben hatte, da
begann er, kaum waren seine Gefolgsleute eingeschlafen, schrecklich zu
^Aristoteles (384-322 v. Chr), Naturgelehrter und Philosoph. S. für weitere Informationen
Thom. Cantimpr. BUA prolog. | 7De animalibus, zoologische Schrift des Aristoteles, die im 4.
Jahrhundert v. Chr. abgefasst wurde. Sie wurde um 1210 von Michael Scotus (gest. 1235) aus
dem Arabischen ins Lateinische sowie um 1260 von Wilhelm von Moerbeke (1215-1286) aus
dem Griechischen ins Lateinische übertragen. S. hierzu HÜNEMÖRDER, Art. „Aristoteles“. Zum
Einfluss aristotelischer Schriften auf das Werk des Thomas von Cantimpre s. GULDENTOPS,
Sagacity. | Ull. Hieronymus (347/348-419/420), Priester, Theologe, Kirchenlehrer. S. für
weitere Informationen Thom. Cantimpr. BUA 11,29,11. | 9Die hier benannte Vorlage von
Hieronymus ist nicht zu identifizieren. In der von dem Dominikaner Jacobus de Voragine (ca.
1226-1298) OP um 1263-67 zusammengestellten Legenda aurea, einer Sammlung von
Heiligenviten und biblischen Geschichten, findet sich jedoch ein ähnlicher Gedankengang,
allerdings mit Bezug auf Augustinus: Jac. Vorag. Legenda aurea, cap. VI, S. 45f. | WHL
Augustinus (354-430), s. Anm. 2.