Metadaten

Thomas; Burkhardt, Julia [Hrsg.]
Von Bienen lernen: das "Bonum universale de apibus" des Thomas von Cantimpré als Gemeinschaftsentwurf : Analyse, Edition, Übersetzung, Kommentar (Teilband 2): Analyse, Edition, Übersetzung und Kommentar — Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.53742#0644
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
5
10
15
20
25
30

BUA 11,30

639

Predigerordens über, das Liemberch18 genannt wird, und lebte dort auf
Veranlassung Gottes äußerst fromm.
[30] Siehe also, Leser, betrachte die Tugend bei einer Frau, die so vor dem
unsittlichen Auge erstarrte, dass sie mit inständigen Gebeten die Plage der
Lepra zu sich rief. Was Wunder? „Was ist nämlich eitler geschaffen als das 5
Auge?“ Im Gesetz verbietet Moses daher den Söhnen Israels, „ihren
Gedanken“ (sagt er) „und Augen durch die verschiedenen Dinge zu folgen,
die zur Unzucht verleiten.“ Und der Ecclesiasticus: „Ein schlechtes Auge
wird zum Übel nicht gesättigt, sondern immer in Traurigkeit sein.“ Nicht
unwahr sagt der Herr im Evangelium: „Und wenn dich dein Auge zum 10
Bösen verfuhrt, reiße es aus und wirf es von dir.“ Obwohl es hart ist, dies
wörtlich zu verstehen, dass du ja sogar durch ein nichtsnutziges Auge die
Begierde des schlechten Verlangens erkennst und dass diese aus dem
Mittelpunkt des Herzens gerissen und nach verändertem Vorsatz
weggeworfen werden muss, damit du nicht der zum Vorschein kommenden 15
Sache verfällst und so von dem Nächsten zum Bösen verfuhrt wirst und
folglich den Nächsten zum Bösen verfuhrst.
[31] Ich habe einen heiligen Mann gesehen, Magister Guido, der Priester der
Beginen in Nivelles war,19 über den höchst glaubhaft erzählt wurde, dass er,
als er in Soignies, einem Ort im Hennegau, Schulen leitete, als junger Mann 20
unbekümmert einmal eine Frau betrachtete und drei Jahre lang, auch als sie
schon gestorben war, derart in Versuchung geführt wurde, dass er in der
ganzen Nacht, ausgenommen wenn er wach ausharrte, im Traum glaubte,
dass sie anwesend war. Als er jedoch spürte, dass um ihn herum der Teufel
nicht auf sich warten ließ, öffnete er eines Nachts heimlich das Grab der 25
Frau und hielt die Nase und das Gesicht so lange in den Schmutz des
verwesten Körpers, dass er beinahe an dem üblen Gestank erstickte, und er
fiel gleichsam tot auf den Rücken. Dieses Geschehen hatte einen solchen
Einfluss auf den heiligen Mann, dass er später keinen sinnlichen Reiz mehr
in seinem Körper spürte. 30

^Angesichts der überlieferten Namensvarianten ist nicht eindeutig zu bestimmen, welches
Kloster gemeint ist. Folgt man der Variante aus Handschrift W2 (Kerberch), so wäre das 1237
gegründete Dominikanerinnenkloster Kirchberg (Diözese Konstanz) denkbar STUTVOET-
JOANKNECHT, Byen boeck, S. 145, verweist dagegen wegen der Konkordanz mit Thomas'
Lebenszeit auf das Kloster Töss. Zu den süddeutschen Dominikanerinnenklöstern s. DECKER,
Stellung, S. 74-79 sowie EHRENSCHWENDTNER, Bildung. | V)Guido von Nivelles (gest. 1227),
Kaplan im Leprosenhaus von Willambrouk, Seelsorger der Beginen von Nivelles, über seinen
Bruder Johannes Schwager der Brabanter Mystikerin Maria von Oignies. S. hierzu SIMONS,
Cities of Ladies, S. 46. Zu Beginen s. auch Thom. Cantimpr. BUA 11,51,12.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften