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Thomas; Burkhardt, Julia [Hrsg.]
Von Bienen lernen: das "Bonum universale de apibus" des Thomas von Cantimpré als Gemeinschaftsentwurf : Analyse, Edition, Übersetzung, Kommentar (Teilband 2): Analyse, Edition, Übersetzung und Kommentar — Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.53742#0664
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BUA 11,30

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religiös lebende oder kirchliche Männer an. Ähnliches legt in seinem „Buch
über die Natur der Dinge“ Plinius29 passend dar: Eine Sau, sagt er, stürzte
sich, als sie von der Raserei der Genusssucht getrieben wurde, auf einen
Mann, der „mit einem besonders weißen Gewand angetan war“. Und so wie
dies anhand dieses Beispiels deutlich wird, wollen wir nun hören, was sich 5
zu unserer Zeit in Spanien ereignete.
[45] Es gab in Spanien einen gewissen Prediger, der sehr bedeutend in
Tätigkeit und Rang war. Er wurde Bruder Dominikus genannt30 und
vergrößerte mit dem heiligen Dominikus31 ebendort den Orden der Prediger.
Durch seinen Ruf an Heiligkeit und durch sein Ansehen war er dem König 10
von Kastilien32 und allen Adeligen höchst willkommen, wie ich von einem
Bruder des Predigerordens in der Anfangszeit desselben Ordens erfahren
habe, seitdem schon beinahe vierzig Jahre vergangen sind. Als dies eine
gewisse „Söldnerin“, wie solche Frauen auf Französisch genannt werden,
das heißt in Wahrheit: eine höchst gewöhnliche Dime, sah und ihn 15
beneidete, sagte sie zu dem König und den Seinen: „Was denkt ihr über
diesen Mann, den ihr für hochheilig haltet? Ich will euch zeigen, wer er ist
und ihn vor euren Augen zum Beischlaf umstimmen.“ Als der König wie
ein kultivierter und edler Mann die Dime ernstlich ermahnte, und jene dies
eindringlich bei Gefahr für ihr Leben, falls sie es nicht vermöge, versprach, 20
antwortete der König: „Es soll geschehen, wie du es gelobt hast.“ Als an
einem gewissen Tag der heilige Mann bei einer öffentlichen Predigt stand,
warf sich die Dime ohne Verzug vor den Augen des Volkes mit lautem
Wehklagen und unter Tränen zu seinen Füßen nieder. Als jener dies sah,
war er bei sich erheitert und vergoss gleichsam über der Büßenden Tränen 25
des Mitgefühls. Nachdem er über mehrere Tage ihre Beichte angehört hatte,

2>>Gaius Plinius Secundus Maior, genannt Plinius der Ältere (23/24-79 n. Chr.) verfasste um 77
n. Chr. seine Naturalis historia eine naturkundliche Enzyklopädie in insgesamt 37 Büchern. S.
für weitere Informationen Thom. Cantimpr. BUA prolog. | 3QDominikus Hispanus OP, eines
der ersten Mitglieder des Dominikanerordens. S. VlCAIRE, Geschichte, Bd. 1, S. 211 und 230
sowie ebd., Bd. 2, S. 78-79 und 87-88. | 31Hl. Dominikus (um 1170-1221), Gründer des Ordens
der Predigerbrüder. Zu seiner Ausbildung in Spanien s. neuerdings (mit missverständlichem
Titel) RUCQUOI, Dominicus Hispanus. S. für weitere Informationen Thom. Cantimpr. BUA
11,1,9. | ^Möglicherweise Alfons VIII. (1158-1214), König von Kastilien seit 1158. Zur
Beziehung der Mendikanten zur kastilischen Monarchie s. DEL MAR GRANA ClD, Mendicant
Orders. Eine vergleichbare Episode, verortet allerdings am Hof eines französischen Adeligen,
findet sich in dem zwischen 1214/19 und 1223 entstandenen Dialogus miraculorum des
Zisterziensers Caesarius von Heisterbach (um 1180-ca. 1240). S. Caes. Dial. mirac. 10,34. Für
eine Kurzfassung dieser Erzählung s. außerdem die Beschreibung in den Vitae fratrum des
dominikanischen Historiographen Gerard von Frachet (1205-1271): Fratris Gerardi de
Fracheto OP Vitae fratrum, S. 159-160.
 
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