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BUA 11,33
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33. „Mögen sie auch einem König unterstellt sein, sind sie dennoch
frei.“
[1] Der Herr sagt im Evangelium: „Wer eine Sünde begeht, ist Knecht der
Sünde.“ Darüber sagt der heilige Augustinus:1 „Wer von ihr besiegt wird,
verpflichtet sich ihr als Knecht.“ Daher wird, solange in den alten Zeiten 5
nach der Sintflut die Unschuld bei den Menschen andauerte, niemand
beschrieben, der unter den Menschen geherrscht hatte. Als aber „die
Ungerechtigkeit Überhand annahm“ und der Friede der Liebe an Kraft
verlor, begann Nimrod, „der mächtige Jäger“, das heißt: der Räuber, die
Menschen zu unterdrücken und die Unterworfenen durch seine Macht zu 10
beherrschen; hierauf sind die Könige entstanden und haben die ganze Welt
mit ungerechten Gesetzen unterworfen. Daher sagt der heilige Augustinus in
seinem „Buch über den Gottes Staat“:2 „Und was sind große
Königsherrschaften außer große Raubzüge?“
[2] Eines Tages wurde ein gewisser Pirat, der von Seeleuten gefangen 15
genommen worden war, vor Alexander den Großen3 gebracht. Als
Alexander ihn fragte, ob er das Meer unsicher machen wolle, damit er auch
durch das geplagt werde, durch das er sträflich gehandelt hatte, sagte er,
nachdem er mit offener Verachtung auf Alexander losgegangen war: „Und
du, willst du die ganze Welt unsicher machen? Weil ich mit einem kleinen 20
Boot Räubereien begangen habe, , schimpft man mich einen Räuber‘, du
aber, der du dasselbe mit einem großen Schiff tust, wirst ,Kaiser‘ genannt.“
Alexander war über die Kühnheit seiner Antwort und der herangeführten
Wahrheit so verwundert und ergriffen, dass er dem Piraten die Freiheit
zurückgab. 25
1Hl. Augustinus (354-430), Kirchenlehrer, seit 396 Bischof von Hippo Regius. S. für weitere
Informationen Thom. Cantimpr. BUA 1,1,1. | 2De civitate Dei, umfangreichstes Werk des hl.
Augustinus, verfasst zwischen 413 und 427. S. für weitere Informationen Thom. Cantimpr. BUA
1,21,1. | ^Alexander „der Große" (356-323 v. Chr), König von Makedonien seit 336 v. Chr.
Aus der Fülle der Literatur zur Rezeption Alexanders des Großen in der Literatur des
Mittelalters s. für einen ersten Überblick WESCHE, Art. „Alexander d. Gr. “ sowie die Beiträge in
Alexander the Great, hg. STOCK.
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33. „Mögen sie auch einem König unterstellt sein, sind sie dennoch
frei.“
[1] Der Herr sagt im Evangelium: „Wer eine Sünde begeht, ist Knecht der
Sünde.“ Darüber sagt der heilige Augustinus:1 „Wer von ihr besiegt wird,
verpflichtet sich ihr als Knecht.“ Daher wird, solange in den alten Zeiten 5
nach der Sintflut die Unschuld bei den Menschen andauerte, niemand
beschrieben, der unter den Menschen geherrscht hatte. Als aber „die
Ungerechtigkeit Überhand annahm“ und der Friede der Liebe an Kraft
verlor, begann Nimrod, „der mächtige Jäger“, das heißt: der Räuber, die
Menschen zu unterdrücken und die Unterworfenen durch seine Macht zu 10
beherrschen; hierauf sind die Könige entstanden und haben die ganze Welt
mit ungerechten Gesetzen unterworfen. Daher sagt der heilige Augustinus in
seinem „Buch über den Gottes Staat“:2 „Und was sind große
Königsherrschaften außer große Raubzüge?“
[2] Eines Tages wurde ein gewisser Pirat, der von Seeleuten gefangen 15
genommen worden war, vor Alexander den Großen3 gebracht. Als
Alexander ihn fragte, ob er das Meer unsicher machen wolle, damit er auch
durch das geplagt werde, durch das er sträflich gehandelt hatte, sagte er,
nachdem er mit offener Verachtung auf Alexander losgegangen war: „Und
du, willst du die ganze Welt unsicher machen? Weil ich mit einem kleinen 20
Boot Räubereien begangen habe, , schimpft man mich einen Räuber‘, du
aber, der du dasselbe mit einem großen Schiff tust, wirst ,Kaiser‘ genannt.“
Alexander war über die Kühnheit seiner Antwort und der herangeführten
Wahrheit so verwundert und ergriffen, dass er dem Piraten die Freiheit
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1Hl. Augustinus (354-430), Kirchenlehrer, seit 396 Bischof von Hippo Regius. S. für weitere
Informationen Thom. Cantimpr. BUA 1,1,1. | 2De civitate Dei, umfangreichstes Werk des hl.
Augustinus, verfasst zwischen 413 und 427. S. für weitere Informationen Thom. Cantimpr. BUA
1,21,1. | ^Alexander „der Große" (356-323 v. Chr), König von Makedonien seit 336 v. Chr.
Aus der Fülle der Literatur zur Rezeption Alexanders des Großen in der Literatur des
Mittelalters s. für einen ersten Überblick WESCHE, Art. „Alexander d. Gr. “ sowie die Beiträge in
Alexander the Great, hg. STOCK.