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35. „Sie haben ein Vorrecht zur Urteilsprüfung“, denn sie erkennen die
Unbelehrbaren, „züchtigen sie bald und bestrafen sie mit dem Tod.“
[1] Was Wunder? Ich habe gehört, was Josafat, der König von Juda, zu den
Richtern des Volkes gesagt hat, die er bestimmte. „Seht“, sagte er, „was ihr
tun sollt. Ihr sollt nicht das Urteil eines Menschen, sondern das des Herrn 5
fallen und was auch immer ihr urteilt, wird auf euch zurückfallen.“ O welch
schrecklicher Urteilsspruch gegen jene, die unrichtige Urteile fallen oder
zulassen, dass solche gefallt werden! Gemäß dem Propheten rechtfertigen
sie „für Geschenke den Frevler, und der Fall der Witwe gelangt nicht vor
sie.“ „Wehe also den Gottlosen beim Übel; die Vergeltung jener kam 10
nämlich, weil der gerechte Herr auch die Gerechtigkeit schätzte und dessen
Antlitz die Rechtschaffenheit sah.“ Wenn er aber die Gerechtigkeit schätzte
und die Rechtschaffenheit mit dem Auge der Anerkennung betrachtete,
hasst er folglich Ungerechtigkeit bei Richtern und missbilligt Falschheit.
Wo du also keine Gerechtigkeit besitzen kannst, wende dich geduldig und 15
mit Vertrauen zum Herrn der Gerechtigkeit hin, weil er die Verdorbenheit
nicht ungestraft ziehen lässt und „wenn er sich die Zeit genommen hat,
selbst über die Gerechtigkeit“ urteilen wird. Was aber darüber ungefähr zu
unserer Zeit in Lothringen, das neben Brabant liegt, geschehen ist, wollen
wir nun gemäß dem, was ich von einem Bruder des Predigerordens erfahren 20
habe, hören.
[2] Das Kloster des heiligen Jakob bei Lüttich ist vielen bekannt und
willkommen.1 In dieses Kloster trat ein gewisser junger Mann, ein Vetter
des Propstes, um der Frömmigkeit und des Glaubens willen ein. Als der
Propst dies hörte, war er empört. Durch die Kleriker hieß er den Vetter 25
zurückkehren, jener aber lehnte das ab. Daraufhin betrat der Propst mit
starker Hand und einer Schar von Gefolgsmännern gewaltsam das Kloster,
entführte den jungen Mann und legte ihm, nachdem er ihn vom heiligen
1 Benediktinerabtei St. Jacques in Lüttich, 1016 gestiftet von Bischof Balderich II. von Lüttich
(gest. 1018). S. hierzu PAQUET, Liege.
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35. „Sie haben ein Vorrecht zur Urteilsprüfung“, denn sie erkennen die
Unbelehrbaren, „züchtigen sie bald und bestrafen sie mit dem Tod.“
[1] Was Wunder? Ich habe gehört, was Josafat, der König von Juda, zu den
Richtern des Volkes gesagt hat, die er bestimmte. „Seht“, sagte er, „was ihr
tun sollt. Ihr sollt nicht das Urteil eines Menschen, sondern das des Herrn 5
fallen und was auch immer ihr urteilt, wird auf euch zurückfallen.“ O welch
schrecklicher Urteilsspruch gegen jene, die unrichtige Urteile fallen oder
zulassen, dass solche gefallt werden! Gemäß dem Propheten rechtfertigen
sie „für Geschenke den Frevler, und der Fall der Witwe gelangt nicht vor
sie.“ „Wehe also den Gottlosen beim Übel; die Vergeltung jener kam 10
nämlich, weil der gerechte Herr auch die Gerechtigkeit schätzte und dessen
Antlitz die Rechtschaffenheit sah.“ Wenn er aber die Gerechtigkeit schätzte
und die Rechtschaffenheit mit dem Auge der Anerkennung betrachtete,
hasst er folglich Ungerechtigkeit bei Richtern und missbilligt Falschheit.
Wo du also keine Gerechtigkeit besitzen kannst, wende dich geduldig und 15
mit Vertrauen zum Herrn der Gerechtigkeit hin, weil er die Verdorbenheit
nicht ungestraft ziehen lässt und „wenn er sich die Zeit genommen hat,
selbst über die Gerechtigkeit“ urteilen wird. Was aber darüber ungefähr zu
unserer Zeit in Lothringen, das neben Brabant liegt, geschehen ist, wollen
wir nun gemäß dem, was ich von einem Bruder des Predigerordens erfahren 20
habe, hören.
[2] Das Kloster des heiligen Jakob bei Lüttich ist vielen bekannt und
willkommen.1 In dieses Kloster trat ein gewisser junger Mann, ein Vetter
des Propstes, um der Frömmigkeit und des Glaubens willen ein. Als der
Propst dies hörte, war er empört. Durch die Kleriker hieß er den Vetter 25
zurückkehren, jener aber lehnte das ab. Daraufhin betrat der Propst mit
starker Hand und einer Schar von Gefolgsmännern gewaltsam das Kloster,
entführte den jungen Mann und legte ihm, nachdem er ihn vom heiligen
1 Benediktinerabtei St. Jacques in Lüttich, 1016 gestiftet von Bischof Balderich II. von Lüttich
(gest. 1018). S. hierzu PAQUET, Liege.