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BUA 11,39
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[3] Ich habe wiederum gehört, was derselbe Dekan im Hinblick auf den
sündigenden Sohn seiner Schwester unternahm. Wegen der Liebe zu und
Ehrfurcht vor seinem besagten Onkel wurden in der Kirche von Arras
freigiebig Kanonikerpfründen für den Kleriker gesammelt. Aber nach
einiger Zeit wurde der Kleriker selbst für eine Verfehlung des Fleisches 5
bestraft und für ein Jahr von der Pfründe suspendiert. Daher trat der Fall ein,
dass der Dekan (also dessen Onkel) sich - weil dafür Gründe aufkamen - an
die Stadt Arras wandte. Er wurde ehrlich, wie es sich für einen solchen
Mann gehört, von den Kanonikern empfangen. Die Gefährten berichteten
ihm auch von den Ausschweifungen des Neffen und der auferlegten Strafe, 10
dass er nämlich für ein Jahr auf den Anteil an seiner Pfründe verzichten
müsse und dass das Kapitel vorgebracht habe, seinem Neffen die Strafe zu
erleichtern, wenn er selbst geruhe, für diesen Bußgebete zu stiften. Und
jener sagte: „Warum nicht, er ist der Sohn meiner Schwester.“ Nachdem
also ein Kapitel der Kanoniker zusammengerufen worden war, sagte er: „Ich 15
habe erkannt, dass mein Neffe gesündigt hat und gemäß der Gewohnheit der
Kirche für ein Jahr in Bezug auf die Pfründe bestraft worden ist. Ich bitte
euch, dass ihr diese Strafe in mein Ermessen legt.“ Als unverzüglich einige
dem Vorsteher mit heiterer Miene zustimmten - der Kleriker war nämlich
einer von jenen guten Gefährten, von denen nicht einer jemals, wie man 20
allenthalben sagt, Gutes getan hatte -, fügte der Dekan ohne Zögern
Folgendes hinzu: „Euch zum Gefallen habt ihr, meine teuersten Herren, die
Strafe meines Neffen in mein Ermessen gelegt. Ich befürworte es freilich
und bestätige eure Gewohnheit, mit der ihr die im Fleisch Sündhaften für
ein Jahr bestraft. Diesem Jahr, mit dem mein Neffe von euch in Bezug auf 25
seine Pfründe bestraft worden ist, füge ich ein weiteres Jahr hinzu, damit er
für zwei Jahre auf jedes Vorrecht der Pfründe verzichten muss. Und wenn er
sich freilich in der Hälfte der Zeit solcherart gebessert haben sollte, dass er
es würdig verdient, die Pfründe wiederhergestellt zu bekommen, stimme ich
darin jeder wohlwollenden Freigiebigkeit von eurer Seite zu; wenn er sich 30
aber von selbst schlecht benimmt, soll ihm auf ewig niemals mehr Zugang
zu der Pfründe oder dem Schoß dieser Kirche gewährt werden.“ Als die
Kanoniker dies hörten, wurden sie bei diesem Ausspruch auf wunderbare
Weise erbaut und verbreiteten die große Tugend des Dekans in ganz
Frankreich. Es folgt: 35
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[3] Ich habe wiederum gehört, was derselbe Dekan im Hinblick auf den
sündigenden Sohn seiner Schwester unternahm. Wegen der Liebe zu und
Ehrfurcht vor seinem besagten Onkel wurden in der Kirche von Arras
freigiebig Kanonikerpfründen für den Kleriker gesammelt. Aber nach
einiger Zeit wurde der Kleriker selbst für eine Verfehlung des Fleisches 5
bestraft und für ein Jahr von der Pfründe suspendiert. Daher trat der Fall ein,
dass der Dekan (also dessen Onkel) sich - weil dafür Gründe aufkamen - an
die Stadt Arras wandte. Er wurde ehrlich, wie es sich für einen solchen
Mann gehört, von den Kanonikern empfangen. Die Gefährten berichteten
ihm auch von den Ausschweifungen des Neffen und der auferlegten Strafe, 10
dass er nämlich für ein Jahr auf den Anteil an seiner Pfründe verzichten
müsse und dass das Kapitel vorgebracht habe, seinem Neffen die Strafe zu
erleichtern, wenn er selbst geruhe, für diesen Bußgebete zu stiften. Und
jener sagte: „Warum nicht, er ist der Sohn meiner Schwester.“ Nachdem
also ein Kapitel der Kanoniker zusammengerufen worden war, sagte er: „Ich 15
habe erkannt, dass mein Neffe gesündigt hat und gemäß der Gewohnheit der
Kirche für ein Jahr in Bezug auf die Pfründe bestraft worden ist. Ich bitte
euch, dass ihr diese Strafe in mein Ermessen legt.“ Als unverzüglich einige
dem Vorsteher mit heiterer Miene zustimmten - der Kleriker war nämlich
einer von jenen guten Gefährten, von denen nicht einer jemals, wie man 20
allenthalben sagt, Gutes getan hatte -, fügte der Dekan ohne Zögern
Folgendes hinzu: „Euch zum Gefallen habt ihr, meine teuersten Herren, die
Strafe meines Neffen in mein Ermessen gelegt. Ich befürworte es freilich
und bestätige eure Gewohnheit, mit der ihr die im Fleisch Sündhaften für
ein Jahr bestraft. Diesem Jahr, mit dem mein Neffe von euch in Bezug auf 25
seine Pfründe bestraft worden ist, füge ich ein weiteres Jahr hinzu, damit er
für zwei Jahre auf jedes Vorrecht der Pfründe verzichten muss. Und wenn er
sich freilich in der Hälfte der Zeit solcherart gebessert haben sollte, dass er
es würdig verdient, die Pfründe wiederhergestellt zu bekommen, stimme ich
darin jeder wohlwollenden Freigiebigkeit von eurer Seite zu; wenn er sich 30
aber von selbst schlecht benimmt, soll ihm auf ewig niemals mehr Zugang
zu der Pfründe oder dem Schoß dieser Kirche gewährt werden.“ Als die
Kanoniker dies hörten, wurden sie bei diesem Ausspruch auf wunderbare
Weise erbaut und verbreiteten die große Tugend des Dekans in ganz
Frankreich. Es folgt: 35