5
10
15
20
25
30
BUA 11,43
781
43. Sie kennen die Zeiten vorher, und darin erkennt man die achtsame
Vorsicht der Gläubigen.
[1] Daher sagt Paulus: „Sie kaufen die Zeit los, weil es schlechte Tage
sind.“ Schlecht nennt man die Tage sicherlich, nicht weil sie selbst schlecht
sind, sondern weil an ihnen schlechte Dinge geschehen. Diese kaufen wir 5
also für das Gute los, wenn wir durch vorsichtigen Umgang und Sorge oder
den Geist der Vorsehung die Hinterlisten der Boshaften gegen uns
abwenden. Es gibt aber viele Gläubige, die bei denjenigen Dingen, die
gegenwärtig sind, offene und ungetrübte Augen haben, diejenigen Dinge
aber, die noch kommen, nicht beachten. Jene seligen Tiere, die Hesekiel sah, 10
waren vorne und hinten mit Augen versehen und „ihr ganzer Körper war
voll von Augen“; dadurch wird offensichtlich zu erkennen gegeben, dass
unser ganzes Leben in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft durch
vorsorgende Umsicht geschützt werden muss.
[2] Es gab einen gewissen jungen Adeligen, der von Natur aus sehr 15
scharfsinnig war und seinem Vater, dem König, im Königreich nachfolgte.1
Daher kam es, dass, nachdem in einer königlichen Stadt die Markttage
festgesetzt worden waren, der König mit seinen Gefährten sorgfältig
umherging, um die Verkäufer und die feilgebotenen Waren zu inspizieren.
Und als er einen sehr alten Mann auf dem Markt sitzen sah, fragte er, wer 20
dieser sei und was er zu verkaufen habe. Dieser antwortete ihm: „Man nennt
mich einen Philosophen und ich habe Weisheit zu verkaufen.“ Daraufhin
freute sich der König und sagte lachend: „Weil ich als junger Mann an die
Regierung gekommen bin, steht es mir gut zu, Weisheit zu besitzen. Du aber
sieh nach, was du für 100 Mark verkaufen willst.“ Und der Greis sagte: 25
„Eines sage ich dir für den festgesetzten Preis, dass du, wenn du dich gut
zurückhältst, am besten durch Folgendes beherrscht werden und herrschen
wirst: Sprich nichts planlos, versuche nichts planlos, ohne zuvor zu
bedenken, was folgt. Wenn du mehr willst, erhöhe den Preis.“ Darauf also
wurden alle zum Lachen gebracht, der König aber erkannte besonnen das 30
lDie folgende Episode findet sich in ähnlicher Form auch im zeitgenössischen Predigertraktat
des Stephan von Bourbon OP (um 1180 oder 1190 95-1261), dem Tractatus de diversis materiis
praedicabilibus, sowie in den später zusammengestellten Gesta Romanorum. S. hierzu Stephani
de Borbone Tractatus II,I, 1.660-685 sowie Gesta Romanorum, Nr. 103. Zu Stephan s.
außerdem Kapitel II. 1. der Einleitung zur Edition.
10
15
20
25
30
BUA 11,43
781
43. Sie kennen die Zeiten vorher, und darin erkennt man die achtsame
Vorsicht der Gläubigen.
[1] Daher sagt Paulus: „Sie kaufen die Zeit los, weil es schlechte Tage
sind.“ Schlecht nennt man die Tage sicherlich, nicht weil sie selbst schlecht
sind, sondern weil an ihnen schlechte Dinge geschehen. Diese kaufen wir 5
also für das Gute los, wenn wir durch vorsichtigen Umgang und Sorge oder
den Geist der Vorsehung die Hinterlisten der Boshaften gegen uns
abwenden. Es gibt aber viele Gläubige, die bei denjenigen Dingen, die
gegenwärtig sind, offene und ungetrübte Augen haben, diejenigen Dinge
aber, die noch kommen, nicht beachten. Jene seligen Tiere, die Hesekiel sah, 10
waren vorne und hinten mit Augen versehen und „ihr ganzer Körper war
voll von Augen“; dadurch wird offensichtlich zu erkennen gegeben, dass
unser ganzes Leben in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft durch
vorsorgende Umsicht geschützt werden muss.
[2] Es gab einen gewissen jungen Adeligen, der von Natur aus sehr 15
scharfsinnig war und seinem Vater, dem König, im Königreich nachfolgte.1
Daher kam es, dass, nachdem in einer königlichen Stadt die Markttage
festgesetzt worden waren, der König mit seinen Gefährten sorgfältig
umherging, um die Verkäufer und die feilgebotenen Waren zu inspizieren.
Und als er einen sehr alten Mann auf dem Markt sitzen sah, fragte er, wer 20
dieser sei und was er zu verkaufen habe. Dieser antwortete ihm: „Man nennt
mich einen Philosophen und ich habe Weisheit zu verkaufen.“ Daraufhin
freute sich der König und sagte lachend: „Weil ich als junger Mann an die
Regierung gekommen bin, steht es mir gut zu, Weisheit zu besitzen. Du aber
sieh nach, was du für 100 Mark verkaufen willst.“ Und der Greis sagte: 25
„Eines sage ich dir für den festgesetzten Preis, dass du, wenn du dich gut
zurückhältst, am besten durch Folgendes beherrscht werden und herrschen
wirst: Sprich nichts planlos, versuche nichts planlos, ohne zuvor zu
bedenken, was folgt. Wenn du mehr willst, erhöhe den Preis.“ Darauf also
wurden alle zum Lachen gebracht, der König aber erkannte besonnen das 30
lDie folgende Episode findet sich in ähnlicher Form auch im zeitgenössischen Predigertraktat
des Stephan von Bourbon OP (um 1180 oder 1190 95-1261), dem Tractatus de diversis materiis
praedicabilibus, sowie in den später zusammengestellten Gesta Romanorum. S. hierzu Stephani
de Borbone Tractatus II,I, 1.660-685 sowie Gesta Romanorum, Nr. 103. Zu Stephan s.
außerdem Kapitel II. 1. der Einleitung zur Edition.