5
10
15
20
25
BUA 11,44
793
44. „Sie ahnen nämlich Regen und Wind voraus und verharren dann in
ihrem Haus.“
[1] Was wird am Regen aufgezeigt, wenn nicht die Drangsal, und was in
den Winden, wenn nicht die Unternehmungen der Dämonen? Paulus
nämlich, der sieht, dass sich ihm gegenüber die Drangsal erhebt, wurde von 5
den Brüdern „in einem Korb an der Stadtmauer“ heruntergelassen, und so
entfloh er im Namen des Herrn den Händen des ihn verfolgenden
Vorstehers. Und dafür hat freilich der Herr für die Seinen Sorge getragen:
Wenn man euch in eine Stadt gefolgt ist, „flieht in eine andere“. Dies haben
unlängst die Prediger- und Minderbrüder in den Provinzen von Ungarn, 10
Polen und später dem Heiligen Land, während die Tartaren und Corosminen
auf sie einstürmten, mit ähnlicher Absicht getan,1 wo über einen gewissen
Herzog, der dem Orden der Prediger beigetreten war, von den Brüdern
folgende Denkwürdigkeit berichtet wurde.
[2] Ein gewisser sehr reicher Herzog in Ungarn trat, nachdem er seine 15
Söhne im Fürstentum als Herrscher zurückgelassen hatte, dem
Predigerorden bei.2 Er war aber hinlänglich in der Schrift unterwiesen und
wurde ein ausgezeichneter und höchst frommer Prediger. Als der Prior des
Hauses also mit den Brüdern vor den heranstürmenden Tartaren floh, bat
derselbe Bruder, also der einstige Herzog, ihn zum Trost der Schwächeren 20
im Volk zurückzulassen; ohnehin werde er - erschöpft durch
Altersschwäche - in Kürze sterben, auch wenn er nicht von den Tartaren
getötet würde. Als ihm dies also gestattet worden war, blieb er im Haus der
Brüder zurück; und nachdem die Armen und Schwachen, welche nicht
imstande gewesen waren, sich auf die Flucht zu begeben, durch die süßeste 25
Ermahnung zur Geduld angehalten und getröstet waren, lag jener selbst bis
1 Verstärkt unternahmen sowohl Dominikaner als auch Franziskaner nach den Eroberungszügen
der Mongolen („Mongolensturm" 1237-1242) Missionsversuche in Ungarn sowie in
mongolischen Gebieten. S. hierzu SCHMIEDER, Europa und die Fremden, S. 128-151, BEREND,
Gate of Christendom, S. 218-223 sowie für weitere Informationen Thom. Cantimpr. BUA 11,2,3.
Bereits im frühen 13. Jahrhundert waren zudem Franziskaner im Nahen Osten mit der Mission
von Muslimen betraut. S. hierzu JOTISCHKY, Mendicants as missionaries. | 2llie Identifizierung
des namenlosen Herzogs gelang dem Theologen Sigismundus Ferrarius bereits im 17.
Jahrhundert, wie Gabor Klaniczay mir freundlicherweise darlegte: In seiner „Geschichte der
dominikanischen Ordensprovinz" wies Ferrarius mittels einer Schenkungsurkunde aus dem Jahr
1233 nach, dass der Protagonist der Geschichte ein Ban (= ungarischer Würdenträger) namens
Buzäd war. Dieser überließ seinem gleichnamigen Sohn in jenem Jahr Besitzungen in Pest und
trat in den lokalen Ordenskonvent ein, in dessen Kirche er offenbar 1241 den Märtyrertod erlitt.
S. hierzu FERRARIUS, De rebus Ungaricae, S. 56-61 sowie für die Urkunde FEJER III.2, S. 334-
335. S. außerdem KLANICZAY, Saint Margaret, S. 9. Zur Geschichte der Pester Dominikaner s.
ROMHÄNYI, Monastic Topography, S. 206-207.
10
15
20
25
BUA 11,44
793
44. „Sie ahnen nämlich Regen und Wind voraus und verharren dann in
ihrem Haus.“
[1] Was wird am Regen aufgezeigt, wenn nicht die Drangsal, und was in
den Winden, wenn nicht die Unternehmungen der Dämonen? Paulus
nämlich, der sieht, dass sich ihm gegenüber die Drangsal erhebt, wurde von 5
den Brüdern „in einem Korb an der Stadtmauer“ heruntergelassen, und so
entfloh er im Namen des Herrn den Händen des ihn verfolgenden
Vorstehers. Und dafür hat freilich der Herr für die Seinen Sorge getragen:
Wenn man euch in eine Stadt gefolgt ist, „flieht in eine andere“. Dies haben
unlängst die Prediger- und Minderbrüder in den Provinzen von Ungarn, 10
Polen und später dem Heiligen Land, während die Tartaren und Corosminen
auf sie einstürmten, mit ähnlicher Absicht getan,1 wo über einen gewissen
Herzog, der dem Orden der Prediger beigetreten war, von den Brüdern
folgende Denkwürdigkeit berichtet wurde.
[2] Ein gewisser sehr reicher Herzog in Ungarn trat, nachdem er seine 15
Söhne im Fürstentum als Herrscher zurückgelassen hatte, dem
Predigerorden bei.2 Er war aber hinlänglich in der Schrift unterwiesen und
wurde ein ausgezeichneter und höchst frommer Prediger. Als der Prior des
Hauses also mit den Brüdern vor den heranstürmenden Tartaren floh, bat
derselbe Bruder, also der einstige Herzog, ihn zum Trost der Schwächeren 20
im Volk zurückzulassen; ohnehin werde er - erschöpft durch
Altersschwäche - in Kürze sterben, auch wenn er nicht von den Tartaren
getötet würde. Als ihm dies also gestattet worden war, blieb er im Haus der
Brüder zurück; und nachdem die Armen und Schwachen, welche nicht
imstande gewesen waren, sich auf die Flucht zu begeben, durch die süßeste 25
Ermahnung zur Geduld angehalten und getröstet waren, lag jener selbst bis
1 Verstärkt unternahmen sowohl Dominikaner als auch Franziskaner nach den Eroberungszügen
der Mongolen („Mongolensturm" 1237-1242) Missionsversuche in Ungarn sowie in
mongolischen Gebieten. S. hierzu SCHMIEDER, Europa und die Fremden, S. 128-151, BEREND,
Gate of Christendom, S. 218-223 sowie für weitere Informationen Thom. Cantimpr. BUA 11,2,3.
Bereits im frühen 13. Jahrhundert waren zudem Franziskaner im Nahen Osten mit der Mission
von Muslimen betraut. S. hierzu JOTISCHKY, Mendicants as missionaries. | 2llie Identifizierung
des namenlosen Herzogs gelang dem Theologen Sigismundus Ferrarius bereits im 17.
Jahrhundert, wie Gabor Klaniczay mir freundlicherweise darlegte: In seiner „Geschichte der
dominikanischen Ordensprovinz" wies Ferrarius mittels einer Schenkungsurkunde aus dem Jahr
1233 nach, dass der Protagonist der Geschichte ein Ban (= ungarischer Würdenträger) namens
Buzäd war. Dieser überließ seinem gleichnamigen Sohn in jenem Jahr Besitzungen in Pest und
trat in den lokalen Ordenskonvent ein, in dessen Kirche er offenbar 1241 den Märtyrertod erlitt.
S. hierzu FERRARIUS, De rebus Ungaricae, S. 56-61 sowie für die Urkunde FEJER III.2, S. 334-
335. S. außerdem KLANICZAY, Saint Margaret, S. 9. Zur Geschichte der Pester Dominikaner s.
ROMHÄNYI, Monastic Topography, S. 206-207.