Einleitung
10. Zuchtordnung „Constitution und Satzung“, 25. August 1529 (Text S. 208)
Nach dem Verständnis der Straßburger Reformatoren durfte die Erneuerung der Kirche nicht bei der
Änderung der Lehre stehenbleiben, sondern mußte mit einer Umgestaltung des gesamten Lebens einher-
gehen. Dabei wurde mehr oder minder stark die Pflicht der weltlichen Obrigkeit zur Erneuerung der christ-
lichen Ordnung betont, zumal die Zurechtweisung der Gläubigen in Predigt und Lehre bald an ihre Grenzen
stieß. Die Prädikanten suchten entsprechend früh auf die städtische Obrigkeit einzuwirken. Schon in ihrer
Supplik vom 3. September 1524 forderten sie vom Magistrat ein Einschreiten gegen das Spielen und Pras-
sen, dyweyl die gemein burgerschaft nit allein am gut verarmet, sonder auch am lib, am sel, an gutten Christlichen
und burgerlichen sitten abnimpt und verdurbt. Zur wirksamen Bekämpfung des Spielens und Prassens schlu-
gen die Prediger eine Aufhebung der Stuben und unehrbaren Wirtshäuser als den Stätten dieser Laster
vor190. Im Mai 1525 drängten Capito, Hedio, Zell und Pollio (Altbiesser) auf eine rasche Unterbindung von
Ehebruch und Hurerei. Man solle sich dermassen bewisen, daß man spüren mag, daß die Ere Gottes ein uffgang
hab191. Im April 1526 erhoben Capito und Hedio erneut die Forderung, etwas gegen den Ehebruch und die
Unzucht zu unternehmen. Der Magistrat beschloß daraufhin, zumindest die Dirnen (metzen) zu ermahnen,
in ihren Häusern zu bleiben und nicht zum Ärgernis der Frommen auf der Gasse herumzuspazieren192.
Am 20. Februar 1527 beantworteten Bucer, Engelbrecht und Zell eine Anfrage des Rates und der XXI
zur Verwaltung von Abendmahl und Taufe. Am Ende ihrer Stellungnahme äußerten sie die Bitte: [...] die-
weil das evangelium hie gepredigt, ein auffsehens zu haben, das doch die offentlich ehebruch, hurerey, übereßen
und drinken und anderes abgestellt werde193. In ihrer Supplik zur Abschaffung der Messe vom 30. September
1527 kritisierten die Prädikanten die Trägheit der Ratsherren bei der Durchführung sittlicher Reformen in
der Stadt: Vor drei Jahren sei beschlossen worden, beim Wort Gottes zu bleiben, bislang habe diese Ent-
scheidung aber keinerlei Folgen gehabt194.
Anfang des Jahres 1529 scheint der Magistrat konkrete Maßnahmen ins Auge gefaßt zu haben, denn
Bucer, Hedio und Zell forderten die Ratsherren in ihrer Eingabe vom 20. März auf, mit der ordnung des
Gottes lesteren, schwören, zudrinckens und spilens fürzufahren195. Zwei Monate später, am 12. Mai 1529,
beklagten die Prädikanten, daß über verüßgangen Mandaten Gotslesterung, zutrinken, eebruch, hureri under
weltlichen und pfaffen offentlich und ungestrafft herrsche. Wie in der Supplik aus dem Jahr 1524 wurde dabei
die verderbliche Wirkung der Stuben angeprangert und deren Schließung mit Ausnahme der Ammeister-
stube gefordert196.
Die Unwirksamkeit vorausgegangener Mandate wird auch in der Vorrede der durch den Rat und die
XXI am 25. August 1529 angenommenen „Constitution und Satzung“ als Grund für deren Erlaß angeführt.
Acht Tage zuvor war von den Ratsherren der Beschluß gefaßt worden, die Ordnung in der vorberatenen
Form aufzurichten und die entsprechenden Artikel im Ratsbuch ändern zu lassen197. Am 30. August wurde
sie dann vor den Schöffen der lenge nach verlesen198. Die Konsultation der Schöffen zeigt die Bedeutung, die
man dem Erlaß der Ordnung beimaß. Neben anderen Mandaten wurde die „Constitution und Satzung“
1535 in die Disziplinarordnung aufgenommen (s. Nr. 19a). Einflüsse der Straßburger „Constitution und
Satzung“ zeigen sich auch bei der Ulmer Kirchenordnung vom August 1531, an deren Abfassung Martin
Bucer entscheidend mitwirkte199.
190 Vgl. Bucer, Deutsche Schriften 2, S. 397.
191 Vgl. Brant, Annalen, Nr. 4610.
192 Ebd., Nr. 4672.
193 Vgl. Bucer, Correspondance 3, Nr. 148a, S. 9.
194 Vgl. Bucer, Deutsche Schriften 2, S. 503f.
195 Bucer, Correspondance 3, Nr. 219, S. 251 = Brant,
Annalen, Nr. 4772.
196 Bucer, Correspondance 3, Nr. 229, S. 280.
197 Vgl. Brant, Annalen, Nr. 4795.
198 Ebd., Nr. 4797.
199 Ediert ist die Ulmer Kirchenordnung in Sehling, EKO
XVII,2, S. 124-162 (die entsprechenden Abschnitte der
Kirchenordnung finden sich dort auf den S. 152-157)
sowie in Bucer, Deutsche Schriften 4, S. 212-272
(S. 255-265). Zu Bucers Beitrag s. Ernst-Wilhelm
Kohls, Martin Bucers Anteil und Anliegen bei der
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10. Zuchtordnung „Constitution und Satzung“, 25. August 1529 (Text S. 208)
Nach dem Verständnis der Straßburger Reformatoren durfte die Erneuerung der Kirche nicht bei der
Änderung der Lehre stehenbleiben, sondern mußte mit einer Umgestaltung des gesamten Lebens einher-
gehen. Dabei wurde mehr oder minder stark die Pflicht der weltlichen Obrigkeit zur Erneuerung der christ-
lichen Ordnung betont, zumal die Zurechtweisung der Gläubigen in Predigt und Lehre bald an ihre Grenzen
stieß. Die Prädikanten suchten entsprechend früh auf die städtische Obrigkeit einzuwirken. Schon in ihrer
Supplik vom 3. September 1524 forderten sie vom Magistrat ein Einschreiten gegen das Spielen und Pras-
sen, dyweyl die gemein burgerschaft nit allein am gut verarmet, sonder auch am lib, am sel, an gutten Christlichen
und burgerlichen sitten abnimpt und verdurbt. Zur wirksamen Bekämpfung des Spielens und Prassens schlu-
gen die Prediger eine Aufhebung der Stuben und unehrbaren Wirtshäuser als den Stätten dieser Laster
vor190. Im Mai 1525 drängten Capito, Hedio, Zell und Pollio (Altbiesser) auf eine rasche Unterbindung von
Ehebruch und Hurerei. Man solle sich dermassen bewisen, daß man spüren mag, daß die Ere Gottes ein uffgang
hab191. Im April 1526 erhoben Capito und Hedio erneut die Forderung, etwas gegen den Ehebruch und die
Unzucht zu unternehmen. Der Magistrat beschloß daraufhin, zumindest die Dirnen (metzen) zu ermahnen,
in ihren Häusern zu bleiben und nicht zum Ärgernis der Frommen auf der Gasse herumzuspazieren192.
Am 20. Februar 1527 beantworteten Bucer, Engelbrecht und Zell eine Anfrage des Rates und der XXI
zur Verwaltung von Abendmahl und Taufe. Am Ende ihrer Stellungnahme äußerten sie die Bitte: [...] die-
weil das evangelium hie gepredigt, ein auffsehens zu haben, das doch die offentlich ehebruch, hurerey, übereßen
und drinken und anderes abgestellt werde193. In ihrer Supplik zur Abschaffung der Messe vom 30. September
1527 kritisierten die Prädikanten die Trägheit der Ratsherren bei der Durchführung sittlicher Reformen in
der Stadt: Vor drei Jahren sei beschlossen worden, beim Wort Gottes zu bleiben, bislang habe diese Ent-
scheidung aber keinerlei Folgen gehabt194.
Anfang des Jahres 1529 scheint der Magistrat konkrete Maßnahmen ins Auge gefaßt zu haben, denn
Bucer, Hedio und Zell forderten die Ratsherren in ihrer Eingabe vom 20. März auf, mit der ordnung des
Gottes lesteren, schwören, zudrinckens und spilens fürzufahren195. Zwei Monate später, am 12. Mai 1529,
beklagten die Prädikanten, daß über verüßgangen Mandaten Gotslesterung, zutrinken, eebruch, hureri under
weltlichen und pfaffen offentlich und ungestrafft herrsche. Wie in der Supplik aus dem Jahr 1524 wurde dabei
die verderbliche Wirkung der Stuben angeprangert und deren Schließung mit Ausnahme der Ammeister-
stube gefordert196.
Die Unwirksamkeit vorausgegangener Mandate wird auch in der Vorrede der durch den Rat und die
XXI am 25. August 1529 angenommenen „Constitution und Satzung“ als Grund für deren Erlaß angeführt.
Acht Tage zuvor war von den Ratsherren der Beschluß gefaßt worden, die Ordnung in der vorberatenen
Form aufzurichten und die entsprechenden Artikel im Ratsbuch ändern zu lassen197. Am 30. August wurde
sie dann vor den Schöffen der lenge nach verlesen198. Die Konsultation der Schöffen zeigt die Bedeutung, die
man dem Erlaß der Ordnung beimaß. Neben anderen Mandaten wurde die „Constitution und Satzung“
1535 in die Disziplinarordnung aufgenommen (s. Nr. 19a). Einflüsse der Straßburger „Constitution und
Satzung“ zeigen sich auch bei der Ulmer Kirchenordnung vom August 1531, an deren Abfassung Martin
Bucer entscheidend mitwirkte199.
190 Vgl. Bucer, Deutsche Schriften 2, S. 397.
191 Vgl. Brant, Annalen, Nr. 4610.
192 Ebd., Nr. 4672.
193 Vgl. Bucer, Correspondance 3, Nr. 148a, S. 9.
194 Vgl. Bucer, Deutsche Schriften 2, S. 503f.
195 Bucer, Correspondance 3, Nr. 219, S. 251 = Brant,
Annalen, Nr. 4772.
196 Bucer, Correspondance 3, Nr. 229, S. 280.
197 Vgl. Brant, Annalen, Nr. 4795.
198 Ebd., Nr. 4797.
199 Ediert ist die Ulmer Kirchenordnung in Sehling, EKO
XVII,2, S. 124-162 (die entsprechenden Abschnitte der
Kirchenordnung finden sich dort auf den S. 152-157)
sowie in Bucer, Deutsche Schriften 4, S. 212-272
(S. 255-265). Zu Bucers Beitrag s. Ernst-Wilhelm
Kohls, Martin Bucers Anteil und Anliegen bei der
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