65b. Gebete zum Reformationsjubiläum
65b. Gebete zum Reformationsjubiläuma
[Zwischen 15. Oktober und 1. November 1617]1
[1.] Ein christliches gebett, uff künfftig Allerheiligen von den cantzeln abzulesen, 1. Nov[embris] 1617
Allmechtiger, barmhertziger, ewiger Gott undt vat-
ter unsers herrn undt heylandts Jesu Christi, wir
bekhennen und verjähen dir2, daß wir leyder nicht
werth seindt aller deiner guet undt wolthaten, die
du unß in nächstverschienenen hundert jahren be-
wiesen und erzeigt hast, dann du hast unß zuför-
derst dein heylsames undt seeligmachendes wort,
das heylige evangelium, durch deinen außerwöhlten
rüstzeüg D. Martinum Lutherum, seeliger gedächt-
nuß, wiederumb clar undt hell an tag gegeben, wel-
ches viel hundert jahr zuvor under der dicken fin-
sternus des antichristischen bapstumbs verborgen
gewesen. Undt ob wol der leidige satan mit seinen
instrumenten dieses helle liecht des heiligen evan-
gelii in viel undt mancherley weiß undt weg außzu-
löschen, auch alle rechtschaffne bekhenner deßelbi-
gen mit gewalt zuvertilgen undt außzurotten sich
unterstanden, so hastu dannoch biß auf den heüti-
gen tag wieder alles toben undt wüeten der feinde
dein glaubiges heüflin hie auf erden dermaßen be-
schützet undt beschirmet, daß sie mit all ihrer
macht und gewalt, mit allen ihren arglistigen prac-
tiken und grimmigen anschlägen zum offtermal ha-
ben müeßen zu spott und schanden werden3. Dann
sie haben sich gestoßen an den stein des anstoßens
undt an dem felß des ergernuß4, welcher ist Chri-
stus, unser herr undt heylandt, den auch die pforten
der höllen nicht können uberweltigen5. Du hast uns
auch in der weltlichen regierung solche christliche
und fromme regenten und oberherrn bescheret, un-
a Textvorlage (Handschrift): AMS 1 AST 81, Nr. 41
(Bl. 109 und Bl. 113). Die beiden Gebete sind von zwei
verschiedenen Händen geschrieben worden.
1 Die beiden Gebete müssen zwischen dem Mandat des
Magistrats zur Feier des Reformationsjubiläums, in
welchem sie beim Kirchenkonvent in Auftrag gegeben
wurden (s. Nr. 65a), und ihrer Verlesung bei den Got-
tesdiensten am 1. November entstanden sein.
ter dero gnädigem schutz undt schein wir in stiller
ruhe undt guetem frieden dein heiliges wort hören
undt die hochwürdige sacramenta zur sterckung un-
sers glaubens haben khönnen gebrauchen, daß güete
und trewe einander begegnet, gerechtigkeyt und
friede sich geküeßet, die trewe auff der erden ge-
wachsen und gerechtigkeit vom himmel ge-
schauet6.
Wiewol nuhn wir arme sündhafftige menschen diese
so große und unausprechliche, wie auch andere un-
zehliche gut- undt wolthaten, so unß zue leib undt
seel sind begegnet undt wiederfahren, nach ihrer
würde undt größe nicht genugsamb loben, rhümen
undt preisen können, dann wir habens ja nicht mit
unserer macht und gewalt erlangt undt zuwegen ge-
bracht noch mit unsern gueten wercken und eigener
heiligkeit umb dich, unsern Gott undt vatter im
himmel, verschuldt7 und verdient, sonder wir undt
unsere vätter müßen unß schämen, daß wir diese
fürtrefliche guet- undt wolthaten nicht mit mehrer
danckbarkeyt erkennet und betrachtet haben. Wir
wollen aber, getrewer Gott undt vatter, darumb
nicht allerdings dazue |109v| stillschweigen; wir
wißens wol undt müßens bekhennen, daß wir nicht
unsere eigne werckh und verdienst zue dancksagung
vor deinem angesicht rhümen undt preisen sollen,
dann alle unsere gerechtigkeit ist für dir wie ein be-
flecktes tuch8. Undt wenn wir alles gethan haben,
was unß befohlen ist, so müßen wir bekhennen, wir
2 Gestehen dir ein.
3 Vgl. Ps 35,4.
4 Vgl. 1Petr 2,6-8.
5 Vgl. Mt 16,18.
6 Ps 85,11-12.
7 Verschulden meint auch: etwas (Gutes) erwerben, auf das
man Anspruch hat, s. Grimm, DWb 25, Sp. 1173.
8 Jes 64,5.
707
65b. Gebete zum Reformationsjubiläuma
[Zwischen 15. Oktober und 1. November 1617]1
[1.] Ein christliches gebett, uff künfftig Allerheiligen von den cantzeln abzulesen, 1. Nov[embris] 1617
Allmechtiger, barmhertziger, ewiger Gott undt vat-
ter unsers herrn undt heylandts Jesu Christi, wir
bekhennen und verjähen dir2, daß wir leyder nicht
werth seindt aller deiner guet undt wolthaten, die
du unß in nächstverschienenen hundert jahren be-
wiesen und erzeigt hast, dann du hast unß zuför-
derst dein heylsames undt seeligmachendes wort,
das heylige evangelium, durch deinen außerwöhlten
rüstzeüg D. Martinum Lutherum, seeliger gedächt-
nuß, wiederumb clar undt hell an tag gegeben, wel-
ches viel hundert jahr zuvor under der dicken fin-
sternus des antichristischen bapstumbs verborgen
gewesen. Undt ob wol der leidige satan mit seinen
instrumenten dieses helle liecht des heiligen evan-
gelii in viel undt mancherley weiß undt weg außzu-
löschen, auch alle rechtschaffne bekhenner deßelbi-
gen mit gewalt zuvertilgen undt außzurotten sich
unterstanden, so hastu dannoch biß auf den heüti-
gen tag wieder alles toben undt wüeten der feinde
dein glaubiges heüflin hie auf erden dermaßen be-
schützet undt beschirmet, daß sie mit all ihrer
macht und gewalt, mit allen ihren arglistigen prac-
tiken und grimmigen anschlägen zum offtermal ha-
ben müeßen zu spott und schanden werden3. Dann
sie haben sich gestoßen an den stein des anstoßens
undt an dem felß des ergernuß4, welcher ist Chri-
stus, unser herr undt heylandt, den auch die pforten
der höllen nicht können uberweltigen5. Du hast uns
auch in der weltlichen regierung solche christliche
und fromme regenten und oberherrn bescheret, un-
a Textvorlage (Handschrift): AMS 1 AST 81, Nr. 41
(Bl. 109 und Bl. 113). Die beiden Gebete sind von zwei
verschiedenen Händen geschrieben worden.
1 Die beiden Gebete müssen zwischen dem Mandat des
Magistrats zur Feier des Reformationsjubiläums, in
welchem sie beim Kirchenkonvent in Auftrag gegeben
wurden (s. Nr. 65a), und ihrer Verlesung bei den Got-
tesdiensten am 1. November entstanden sein.
ter dero gnädigem schutz undt schein wir in stiller
ruhe undt guetem frieden dein heiliges wort hören
undt die hochwürdige sacramenta zur sterckung un-
sers glaubens haben khönnen gebrauchen, daß güete
und trewe einander begegnet, gerechtigkeyt und
friede sich geküeßet, die trewe auff der erden ge-
wachsen und gerechtigkeit vom himmel ge-
schauet6.
Wiewol nuhn wir arme sündhafftige menschen diese
so große und unausprechliche, wie auch andere un-
zehliche gut- undt wolthaten, so unß zue leib undt
seel sind begegnet undt wiederfahren, nach ihrer
würde undt größe nicht genugsamb loben, rhümen
undt preisen können, dann wir habens ja nicht mit
unserer macht und gewalt erlangt undt zuwegen ge-
bracht noch mit unsern gueten wercken und eigener
heiligkeit umb dich, unsern Gott undt vatter im
himmel, verschuldt7 und verdient, sonder wir undt
unsere vätter müßen unß schämen, daß wir diese
fürtrefliche guet- undt wolthaten nicht mit mehrer
danckbarkeyt erkennet und betrachtet haben. Wir
wollen aber, getrewer Gott undt vatter, darumb
nicht allerdings dazue |109v| stillschweigen; wir
wißens wol undt müßens bekhennen, daß wir nicht
unsere eigne werckh und verdienst zue dancksagung
vor deinem angesicht rhümen undt preisen sollen,
dann alle unsere gerechtigkeit ist für dir wie ein be-
flecktes tuch8. Undt wenn wir alles gethan haben,
was unß befohlen ist, so müßen wir bekhennen, wir
2 Gestehen dir ein.
3 Vgl. Ps 35,4.
4 Vgl. 1Petr 2,6-8.
5 Vgl. Mt 16,18.
6 Ps 85,11-12.
7 Verschulden meint auch: etwas (Gutes) erwerben, auf das
man Anspruch hat, s. Grimm, DWb 25, Sp. 1173.
8 Jes 64,5.
707