Heidelberger Akademievorlesung
Träume der Schafherde sich in Nichts auflösen. Die modernen Nihilisten sind, mit
Umberto Eco zu sprechen, die „Apokalyptiker“, für die der Untergang zum Risiko
gehört, das heute jeder einzugehen hat, der mitspielen will. In dieser Welt, in der
es strukturell keine Moral gibt, interessiert nicht die Frage danach, welches Un-
glück angerichtet wird, sondern nur die Frage, wann der richtige Zeitpunkt zum
Ausstieg gekommen ist. Den kennen die „Integrierten“ nie (Eco 1985). Ihnen, die
auf Stabilität, Ruhe und Ordnung setzten, und durch Sicherheitshypertrophien
ungewollt zur Vermehrung der Risiken beitragen, bleibt nur die scheinheilige Em-
pörung, dass die Welt, auf die sie bauten, „schlecht“ ist und die masters of the universe
nichts als kriminelle Spieler sind.
Wenn, so scheint es, unsere demokratische Gesellschaft dieses Schisma nicht
zu überwinden fähig ist, droht die Gesellschaft der Kontingenz, die wir aufgeklärte
Bürger errichtet haben, ideologisch, sozial wie materiell zur Kampfzone zu wer-
den. Vielleicht wäre sogar dies zu begrüßen, denn Kultur, was nicht gern gehört
wird, ist,ihrer Natur nach4 polemogen (Eder 1994). Doch diese Perspektive gehört
gerade nicht zum kulturkritischen Pessimismus, der sich im postheroischen Zeit-
alter auch akademisch breit macht, sondern zum analytischen Rüstzeug, das die
Herausforderungen einer Zukunft, die so offen und unbestimmt ist wie vielleicht
niemals zuvor, anzunehmen bereit ist.
Literaturverzeichnis (Auswahl):
Blumenberg, Hans: Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher. Frankfurt am
Main.
Böhme, Hartmut (2016): Natur und Figur. Goethe im Kontext. Paderborn.
Böhme, Hartmut: Wollen wir in einem posthumanen Zeitalter leben? Geschwindigkeit und
Verlangsamung in unserer Kultur. In: Markus Brüderlin (Hg.): Die Kunst der Entschleu-
nigung. Bewegung und Ruhe in der Kunst von Caspar David Friedrich bis Ai Weiwei.
Ausstellungskatalog Wolfsburg. Ostfildern 2011, S. 2—9.
Bubner, Rüdiger (1993): Die Gesetzlichkeit der Natur und die Willkür der Menschheitsgeschichte.
Goethe vor dem Historismus. In: Goethe-Jahrbuch 110, S. 135 — 145.
Bubner, Rüdiger (1998): Die aristotelische Lehre vom Zufall. Bemerkungen in der Perspektive ei-
ner Annäherung der Philosophie an die Rhetorik. In: Gerhart v. Graevenitz & Odo Marquard
(Hg.): Kontingenz. München, S. 3 — 21.
Brügger, W (1976): Kontingenz. In: Ritter, Joachim (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philoso-
phie, B. 4; Basel Stuttgart, Sp. 1027—1034.
Ernst Cassirer (1927/1977): Individuum und Kosmos in der Philosophie der Renaissance. 5. Aufl.
Darmstadt.
Cioffari, Vincenzo (1935): Fortune and Fatefront Democritus to St. Thomas Aquinas. New York.
Cordie, Ansgar M. (2001): Raum und Zeit des Vaganten: Formen der Weltaneignung im deutschen
Schelmenroman des 17. Jahrhunderts, Berlin New York.
Davies, J. David (2017): Kings of the Sea: Charles II, James II and the Royal Navy. Barnsley:
Seaforth Publishing.
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Träume der Schafherde sich in Nichts auflösen. Die modernen Nihilisten sind, mit
Umberto Eco zu sprechen, die „Apokalyptiker“, für die der Untergang zum Risiko
gehört, das heute jeder einzugehen hat, der mitspielen will. In dieser Welt, in der
es strukturell keine Moral gibt, interessiert nicht die Frage danach, welches Un-
glück angerichtet wird, sondern nur die Frage, wann der richtige Zeitpunkt zum
Ausstieg gekommen ist. Den kennen die „Integrierten“ nie (Eco 1985). Ihnen, die
auf Stabilität, Ruhe und Ordnung setzten, und durch Sicherheitshypertrophien
ungewollt zur Vermehrung der Risiken beitragen, bleibt nur die scheinheilige Em-
pörung, dass die Welt, auf die sie bauten, „schlecht“ ist und die masters of the universe
nichts als kriminelle Spieler sind.
Wenn, so scheint es, unsere demokratische Gesellschaft dieses Schisma nicht
zu überwinden fähig ist, droht die Gesellschaft der Kontingenz, die wir aufgeklärte
Bürger errichtet haben, ideologisch, sozial wie materiell zur Kampfzone zu wer-
den. Vielleicht wäre sogar dies zu begrüßen, denn Kultur, was nicht gern gehört
wird, ist,ihrer Natur nach4 polemogen (Eder 1994). Doch diese Perspektive gehört
gerade nicht zum kulturkritischen Pessimismus, der sich im postheroischen Zeit-
alter auch akademisch breit macht, sondern zum analytischen Rüstzeug, das die
Herausforderungen einer Zukunft, die so offen und unbestimmt ist wie vielleicht
niemals zuvor, anzunehmen bereit ist.
Literaturverzeichnis (Auswahl):
Blumenberg, Hans: Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher. Frankfurt am
Main.
Böhme, Hartmut (2016): Natur und Figur. Goethe im Kontext. Paderborn.
Böhme, Hartmut: Wollen wir in einem posthumanen Zeitalter leben? Geschwindigkeit und
Verlangsamung in unserer Kultur. In: Markus Brüderlin (Hg.): Die Kunst der Entschleu-
nigung. Bewegung und Ruhe in der Kunst von Caspar David Friedrich bis Ai Weiwei.
Ausstellungskatalog Wolfsburg. Ostfildern 2011, S. 2—9.
Bubner, Rüdiger (1993): Die Gesetzlichkeit der Natur und die Willkür der Menschheitsgeschichte.
Goethe vor dem Historismus. In: Goethe-Jahrbuch 110, S. 135 — 145.
Bubner, Rüdiger (1998): Die aristotelische Lehre vom Zufall. Bemerkungen in der Perspektive ei-
ner Annäherung der Philosophie an die Rhetorik. In: Gerhart v. Graevenitz & Odo Marquard
(Hg.): Kontingenz. München, S. 3 — 21.
Brügger, W (1976): Kontingenz. In: Ritter, Joachim (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philoso-
phie, B. 4; Basel Stuttgart, Sp. 1027—1034.
Ernst Cassirer (1927/1977): Individuum und Kosmos in der Philosophie der Renaissance. 5. Aufl.
Darmstadt.
Cioffari, Vincenzo (1935): Fortune and Fatefront Democritus to St. Thomas Aquinas. New York.
Cordie, Ansgar M. (2001): Raum und Zeit des Vaganten: Formen der Weltaneignung im deutschen
Schelmenroman des 17. Jahrhunderts, Berlin New York.
Davies, J. David (2017): Kings of the Sea: Charles II, James II and the Royal Navy. Barnsley:
Seaforth Publishing.
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