5
10
15
20
25
BUA 11,29
585
[25] Beachte also, Leser, dass ich nicht glaube, dass eine Regel immer nötig
und bei den genannten Fastenzeiten wirksam ist, obwohl die ruhmreiche
Jungfrau an diesem Sünder ein Wunder zeigen wollte, um zu beweisen, dass
ihre emsigen Verehrer von ihr unterstützt und höher geehrt werden müssen.
Ich weiß trotzdem und bin sicher, dass das besagte Fasten bei vielen || eine 5
heilsame Wirkung hatte, so dass sie an ihrem Lebensende eine wahrhaftige Beichte ||
hatten und heftiger bereuten.
[26] In Deutschland stand um das Jahr 1229 seit der Fleischwerdung des
Herrn die Feier der Himmelfahrt der ruhmreichen Jungfrau Maria bevor.43
Es wurde also ein frommer und sehr eifriger Bruder des Predigerordens an 10
einen gewissen Ort geschickt, um bei der besagten Feierlichkeit zu predigen.
Er kam morgens an einen gewissen Fluss, der in der Mitte der Strecke
zwischen dem Zielort und dem Ort der Brüder war und fand niemanden, der
ihn in einem Schiff hinübersetzte, wie er es gewohnt war. Nicht wenig
beunruhigt also, weil die Zeit zu predigen schon bevorstand und es auch 15
keine Gelegenheit gab, über die Brücke zu gehen, weil sich die Biegung des
Flusses weit ausdehnte, breitete er, nachdem er sich zuversichtlichen
Herzens mit einem demütigen Gebet Christus und seiner Mutter anvertraut
hatte, sein Ordensgewand über den fließenden Wogen offen aus, setzte sich
nach einer Bekreuzigung wieder darauf und überquerte den Fluss mit 20
vollkommen trockener Kleidung. Ein Bruder aber, der Gefährte dieses
Mannes,44 staunte über ein solches Wunder und wagte nicht, ihm zu folgen.
Er wartete in der Folge lange Zeit auf ein Boot für die Überfahrt und setzte
dann über.
[27] Auf ähnliche Weise wollte ein Bruder desselben Predigerordens, ein 25
sehr demütiger und guter Mann, nach England übersetzen und bat im Hafen
den Schiffsherm, er möge ihn und seinen Gefährten um Gottes willen mit
4375. August, s. Anm. 6. Eine vergleichbare Geschichte (bei der allerdings kein Fluss, sondern
ein Berg zu überwinden ist) findet sich in dem Predigertraktat des Dominikaners Stephan von
Bourbon (s. Anm. 3), s. Stephani de Borbone Tractatus II,I, l. 213-217. | Jeder Prediger, der
sich auf Reisen befand, konnte einen Begleiter (sociusj bei sich haben, der ihm wiederum
Gehorsam schuldig war. Diese Bestimmung wurde auch in den durch Humbert von Romans
1256 promulgierten Constitutiones festgelegt, vgl. Liber constitutionum, Dist. II, cap. 12 (de
predicatoribus), S. 167: Socius datus predicatori: ipsi ut priori suo obediat. Zu monastischem
bzw. mendikantischem Reisen s. SONNTAG, Klosterleben, S. 615-621 sowie MERTENS,
Evangelische Wanderschaft. S. außerdem Thom. Cantimpr. BUA 11,11,1 sowie ebd. 11,57,36.
10
15
20
25
BUA 11,29
585
[25] Beachte also, Leser, dass ich nicht glaube, dass eine Regel immer nötig
und bei den genannten Fastenzeiten wirksam ist, obwohl die ruhmreiche
Jungfrau an diesem Sünder ein Wunder zeigen wollte, um zu beweisen, dass
ihre emsigen Verehrer von ihr unterstützt und höher geehrt werden müssen.
Ich weiß trotzdem und bin sicher, dass das besagte Fasten bei vielen || eine 5
heilsame Wirkung hatte, so dass sie an ihrem Lebensende eine wahrhaftige Beichte ||
hatten und heftiger bereuten.
[26] In Deutschland stand um das Jahr 1229 seit der Fleischwerdung des
Herrn die Feier der Himmelfahrt der ruhmreichen Jungfrau Maria bevor.43
Es wurde also ein frommer und sehr eifriger Bruder des Predigerordens an 10
einen gewissen Ort geschickt, um bei der besagten Feierlichkeit zu predigen.
Er kam morgens an einen gewissen Fluss, der in der Mitte der Strecke
zwischen dem Zielort und dem Ort der Brüder war und fand niemanden, der
ihn in einem Schiff hinübersetzte, wie er es gewohnt war. Nicht wenig
beunruhigt also, weil die Zeit zu predigen schon bevorstand und es auch 15
keine Gelegenheit gab, über die Brücke zu gehen, weil sich die Biegung des
Flusses weit ausdehnte, breitete er, nachdem er sich zuversichtlichen
Herzens mit einem demütigen Gebet Christus und seiner Mutter anvertraut
hatte, sein Ordensgewand über den fließenden Wogen offen aus, setzte sich
nach einer Bekreuzigung wieder darauf und überquerte den Fluss mit 20
vollkommen trockener Kleidung. Ein Bruder aber, der Gefährte dieses
Mannes,44 staunte über ein solches Wunder und wagte nicht, ihm zu folgen.
Er wartete in der Folge lange Zeit auf ein Boot für die Überfahrt und setzte
dann über.
[27] Auf ähnliche Weise wollte ein Bruder desselben Predigerordens, ein 25
sehr demütiger und guter Mann, nach England übersetzen und bat im Hafen
den Schiffsherm, er möge ihn und seinen Gefährten um Gottes willen mit
4375. August, s. Anm. 6. Eine vergleichbare Geschichte (bei der allerdings kein Fluss, sondern
ein Berg zu überwinden ist) findet sich in dem Predigertraktat des Dominikaners Stephan von
Bourbon (s. Anm. 3), s. Stephani de Borbone Tractatus II,I, l. 213-217. | Jeder Prediger, der
sich auf Reisen befand, konnte einen Begleiter (sociusj bei sich haben, der ihm wiederum
Gehorsam schuldig war. Diese Bestimmung wurde auch in den durch Humbert von Romans
1256 promulgierten Constitutiones festgelegt, vgl. Liber constitutionum, Dist. II, cap. 12 (de
predicatoribus), S. 167: Socius datus predicatori: ipsi ut priori suo obediat. Zu monastischem
bzw. mendikantischem Reisen s. SONNTAG, Klosterleben, S. 615-621 sowie MERTENS,
Evangelische Wanderschaft. S. außerdem Thom. Cantimpr. BUA 11,11,1 sowie ebd. 11,57,36.